20.7.–24.7.1804
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Freytag den 20.
Hier muß ich eine Geschichte nachhohlen, die sich schon im Anfang dieses Monats ereignet, u. die nun auf diese Zeit von sehr verdrießlichen Folgen für mich ward.
Den 8 dies[es Monats] ward nemlich ein Heinrich Strikler aus dem Weidenbach2254
Wahrscheinlich Heinrich Strikler im Widenbach (Weiler nördlich von Hirzel-Kirche); Strikler hatte einen Horgner "mit einem Prügel beinahe zu Tode geschlagen"; vgl. Tagebuch vom 21.11.1803.schliessen
von der Regierung für den offentlichen Stillstand2255
Der Name rührt daher, weil seine Mitglieder gewöhnlich am ersten Sonntag eines Monats nach dem Gottesdienst stillstehen, d.h. warten mussten, bis der Pfarrer sie zu sich rief. Haupttraktanden waren neben der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben, Sozial- und Schulfragen die sittliche Kontrolle der Landbevölkerung. Wie ein Stillstand als Sittengericht funktioniert, zeigt ein Protokollauszug Pfr. Schweizers zum Fall Strikler, den Albert Heer zitiert: "Beinahe alle Gemeindegenossen blieben da und waren gegenwärtig, es herrschte tiefe Stille. Die meisten wurden gerührt, nur der Missetäter nicht. Der stellte sich überaus frech, blickte wild in der Kirche umher und wollte mich sogar einmal unterbrechen. Das Obergericht verurteilte ihn zu 18 Rutenstreichen an der Stud und setzte fest, dass er auf die Dauer von 6 Jahren von allen Wirts- und Schenkhäusern ausgeschlossen sei." Heer, Die Kirche auf dem Hirzel, 38.schliessen
erkennt, u. durch einen Polizeybeamteten für denselben gebracht: der stellte sich nun sehr frech, u. wollte mich einmal in meinem Zuspruch2256
Zusprüche nannte man die vom Stillstand ausgesprochenen moralischen Verweise; Gugerli, Zwischen Pfrund und Predigt, 86.schliessen
an ihn unterbrechen u. anfangen reden. Dies meldete ich nun in dem Rapport, den ich der Polizey Commißion von diesem Stillstand machen musste; zugleich machte ich die Anmerkung, daß der hiessige Gemeindammann Hürlimann2257
Hans Caspar Hürlimann, Stillstandspräsident 1800-1802, ab 1803 Gemeinderat und Friedensrichter.schliessen
diesem Stillstand nicht beygewohnt habe, ob ich [99] ihn gleich mündlich u. schriftlich dazu aufgefordert. Hierüber ward der Gemeindammann sehr aufgebracht: er kam zu mir, u. machte mir bittere Vorwürfe: ich stellte ihm vor, daß er mit Absicht diesem Stillstand nicht beygewohnt, weil er [für] den Strikler Buben Parthey nehme: so bald ich Hrn. Rathsherr Rahn2258
Salomon Rahn (1766-1836), Sohn von Hans Heinrich Rahn (1734-1796); Landschreiber der Grafschaft Baden 1794-1798, Mitglied des Grossen Rats 1803-1836, des Kleinen Rats 1803-1831. Rahn war Vorsteher der Justiz- und Polizeikommission; HBLS V, 521.schliessen
sehe, werd' ich ihn ersuchen, daß er, wenn in Zukunft eine solche Exekution im Hirzel vorgehen müsse, den Delinquenten durch einen Haschier2259
Polizist.schliessen
in Hirzel bringen lasse, indem der Strikler, wenn ein Haschier neben ihm vor dem Stillstand gestanden, sich gewiß nicht so frech gestellt hätte. Zudem müß ich ihm sagen, daß die übrigen sich deklarirt, daß sie auch nicht in den Stillstand kommen, wenn er nicht komme: u. daß sie nur auf meine [Aufforderung] hin erschienen seyen, u. mir aufgetragen haben, seine Abwesenheit in dem Rapport zumelden; u.s.f. was geschahe nun?
Samstag den 21
Kam Abends um 7 Uhr ein Haschier von Zürich zu mir ins Pfarrhaus mit der Anzeige, er müsse den Strikler wieder gefangen auf Zürich führen, der müsse wieder in Oetenbach,2260
Das Zürcher Gefängnis im ehemaligen Dominikanerinnenkloster.schliessen
u. vermuthlich wieder für den öffentlichen Stillstand. wer hierüber erschrak, recht sehr erschrak – war ich. warum, fragte ich hastig, muß der Strikler wieder gefangen auf Zürich geliefert werden? weil er sich vor 8 Tagen ungebührend vor dem Stillstand aufgeführt – war die Antwort. Das kan nicht seyn, wird nicht seyn: der Strikler muß gewiß etwas Neües Strafwürdiges gethan haben: u.s.f. er wisse nichts anders, sagte er, u. verfügte sich dann zum Gemeindammann, den nahm er mit sich, um den Strikler gefangen zunehmen: der ward zu Hause angetroffen, es ward ihm angesagt, daß er aufs neüe ein Arrestant sey u. wieder auf Zürich müsse. Ob er sich nicht umkleiden dürfe? soll er gefragt, u. der Haschier es ihm abgeschlagen haben: worauf Hürlimann ihm zum Besten geredet, u. gesagt habe, er wolle mit ihm in die Kammer, u. bey ihm beym ankleiden seyn. Dies geschah, u. noch mehr geschah – Hürlimann ließ den Strikler entwischen!! Hierauf wurde
Dienstag den 24
in der Gemeine herum gebotten, der Gemeindammann seye gestern in der Stadt gewesen, u. von Hrn. Rathsherr Rahn tüchtig ausgefilzt worden. Diesem Gered ward beygefügt, Hürlimann sage, er habe von sicherer Hand vernohmen, daß ich die vorige Woche nur darum in der Stadt gewesen, um den Strikler u. ihn zuverklagen: es seye von mir angelegt u. gebethen worden
1. daß der Strikler wieder gefänglich eingezogen,
2. 8 Tag in der Gefangenschaft verwahrt,
3. am Sontag wieder für den öffentlichen Stillstand gebracht werde. u
4. daß er – Hürlimann diesem Stillstand beywohnen müsse. Aber, man werde den Strikler so bald nicht mehr in der Gemeine sehen. u.s.f.
Dies Gered machte mir nun nicht bange, denn mein Gewißen ist all dieses Zeügs halben ruhig, auch hab' ich Hrn. Rathsherr Rahnen zum Zeügen, daß ich ihn um nichts so angesucht habe. Aber Hürlimann hat sich mit dieser Aussprengung für meinen öffentlichen Feind dargegeben, u. allso auf eine Art mit mir gebrochen, die's schwer machen wird, daß wir je wieder Freünde werden werden.

 


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