20.4.1805
Abends, da es beynahe Nacht war, kam der l[iebe] Vetter Caspar2611
Kaspar Gessner (1780-1812), Sohn des Hans Caspar Gessner und der Bäbe, geb. Hess, Tapezierer, verh. 1807 mit Anna Lavater.schliessen
ab'm Graben ganz unvermuthet zu uns, selbst da es regnete. wir merkten so gleich, daß die ihm entdekte Sache mit der Nannette L[avater]2612Anna Lavater (geb. 1780), Tochter des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater u. der Ester, geb. Vogel, verh. 1807 mit Kaspar Gessner (1780-1812), als Frau von Birch Stiefmutter von Salomon von Birch; Hauschronik, 58.schliessen
ihn zu uns trieb. Er brachte uns ein Alleinbriefgen2613Einen Brief, der nur an eine bestimmte Person resp. an die Kernfamilie geht; im Gegensatz zum öffentlichen Brief, der sich an den gesamten Familienkreis inkl. Freunde der Familie richtet; vgl. Tagebuch vom 26.3.1801.schliessen
von seiner Mamma, das hier seinen Plaz haben soll. "Ach, Liebe Herzen! gar nicht unerwartet ists uns, was ihr uns von unserm Jaque2614
Ach ich mögte so herzlich gern noch so viel viel eüch sagen; mein Herz ist so voll; aber ich habe nicht Zeit: ich mögte dem l[ieben] Caspar, der nun zu eüch will, dies mitgeben. Ich denke, er wird eben vorlaüftig wegen einer Üetlibergerreise mit eüch reden wollen, die er, so bald wärmere u. schönere Witterung eintritt, vornehmen mögte. Die Sache wegen Jgfr. L[avater] ligt ihm an: er war lezten Montag mit ein paar Cameraden übern See u. auf Horgen gefahren, u. sahe Fr. Pfr. u. eine ihrer Töchter zum Fenster hinaus schauen, u. sagte dies dem Papa, es müsse eben die Nannette gewesen seyn: er beschrieb sie ihm, u. fands so: u. seitdem strebt er darnach, zu eüch zugehen. Von dem, was ihr uns geschrieben, weisst er nichts: wir denken auch, ihr saget nichts von dem, was die l[iebe] Lisette2621
Was die l[iebe] Lisette neü mit dir redte, frappierte mich im Innersten. Die Freüde, die diese lieben guten Leüte damit hätten, ist so was eignes, das, wie du sagst, vom Herrn kömt, der, mitten in dem Er betrübt, auch wieder so gern erfreüt. Wir bethen ihn an für beydes. Er leite alles nach seinem Rath: wir könen nichts, als bethen: "Herr! führe du unsre Kinder ihrer Bestimmung entgegen!" Izt will ich noch ein paar Worte mit Caspar reden, der noch nie mit mir über diese Sache geredet hat. Der Herr sey eüer Gott! u. seys auch uns!
Jakob Gessner d.J. (1782-1806), dritter Sohn von Hans Caspar Gessner u. der Bäbe, geb. Hess; ord. 1804, Vikar in Horgen, 1805 Katechet in Oberstrass, verfiel in Melancholie und hungerte sich zu Tode; ZhPfrB, 296.schliessen
geschrieben: so bald wir ihn am Mitwoch sahen, fiel uns das drükende Gespannte seines Gesichtes schwer aufs Herz: u. was das l[iebe] Regeli2615Schweizers Tochter Regula (1791-1874), die zur Ausbildung in der Stadt weilt; vgl. Tagebuch ab dem 16.2.schliessen
/aus Schohnung nicht mir/ den l[ieben] Setten2616Bäbe Gessner-Hess' Tochter Elisabeth Wichelhausen-Gessner und die angenommene Tochter ihres verstorbenen Bruders, Maria Elisabetha (Setli) Hess (geb. 1786), verh. 1809 mit Hans J. Nüscheler (geb. 1789), Sohn von Pfr. Friedrich Salomon (1745-1799) und der Anna Nüscheler-Ulrich (geb. 1756); vgl. Hauschronik 141; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
sagte, zeigt mehr als genug, wie sehr ihn der fatale Plagedämon gefangen hielt, nicht zugenießen, was Gott u. Menschen ihm so gern gegönt hätten, u. bereitet haben. Es zerreisst beynahe mein Herz, u. doch muß ich es sagen, ich sehe täglich mehr, daß es eigentlich ein böser Dämon ist, der ihn beherrscht: so würde, der sonst gute kindliche Jaque die, die er liebt, u. die ihn so sehr lieben, nicht plagen; auch ists gerade auf Hl. Festtage, wo er am leidsten macht: wie bey eüch izt machte ers an der Weyhnacht in Winterthur, u. auch so, daß Hr. Pfr. Sulzer2617Wahrscheinlich Johann Konrad Sulzer (1745-1819), ord. 1763, dann Hauslehrer, 1769-1771 Studium in Berlin, 1774 Pfr. in Seuzach, 1789 Rektor, 1792 zweiter, 1799 erster Pfarrer in Winterthur, Schulinspektor, 1804 Kirchenrat, 1813 Dekan. Freund von Lavater, Hess und Jung-Stilling; ZhPfrB, 560. – Zur Beziehung Sulzers zum Pfarrhaus Schweizer vgl. Hauschronik, 67.schliessen
ihn [119] nicht durfte am 2ten Tag eine Kinderlehre in Veltheim halten laßen. Ach, es ist so schwer, u. so gar keine menschliche Hilfe abzusehen. Wir wollen zwar izt mit dem Arzt sprechen, aber wenn ich bisher ihm etwas sagte, seitdem er wieder von Horgen zurük ist, so sagt er – er könne ihm nichts geben; es seye nicht körperlich, es müsse moralisch geholfen werden: u. wer soll moralisch helfen? Jaque selbst ist zugebunden: er kan sich nicht helfen; und was wir thun, ist meist auch fruchtlos: u. was er im Pfarrhaus2618Pfarrhaus der Gemeinde Fraumünster, Waaggasse 1/3, Amtswohnung von Hans Georg Gessner und seiner Gattin Anna, geb. Lavater.schliessen
thut, wirkt auch nicht, was Georg2619Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner u. der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
hofte: ich darf dagegen nichts sagen: ich weiß wol, wie herzlich gut Georg es meynt, ich verkenne es gewiß nicht. Aber eine Bibliothek alphabetisch zu rangieren; so viele Pfarr- u. Privatbriefe alphabetisch u. archivarisch zurangieren – dazu gehört warlich viel viel Anstrengung des Kopfs, /der meinige mögte das nicht ertragen/ u. die körperliche Bewegung ist nicht viel zurechnen: nach meiner Empfindung ist so was wirklich nicht zwekmäßig. Und dann hat Georg immer so viel zu thun, ist so selten ruhig u. frey daheim, daß Jaque im Pfarrhaus eben so wohl sich selbst überlaßen ist, als bey uns zu Hause, wol noch mehr: u. wenn ich etwa vor u. nach der Gesellschaft Georg oder Nette2620Anna Gessner-Lavater (1771-1852), Tochter von Johann Caspar Lavater u. Anna, geb. Schinz, verh. 1795 mit Hans Georg Gessner.schliessen
sehe, so sagen sie: "es geht dem Jaque izt wieder einige Tage recht ordentlich", wenn wir just das Gegentheil wahrnehmen: u. allein, oder mit Ruhe hätt ich das ganze Jahr noch nie nur ¼ Stunde mit Georg reden könen. Ich werde aber izt, wenn die Gesellschaft zusamen kömt, sehen, daß ich mit Georg reden kan, u. ihm dann sagen, was du uns geschrieben hast: auch würde es vielleicht nicht aus'm Weg seyn, wenn, du Lieber! mit Georg sprechen, oder, wenn das nicht seyn kan, ihm schreiben köntest, was du uns geschrieben hast. Ach ich mögte so herzlich gern noch so viel viel eüch sagen; mein Herz ist so voll; aber ich habe nicht Zeit: ich mögte dem l[ieben] Caspar, der nun zu eüch will, dies mitgeben. Ich denke, er wird eben vorlaüftig wegen einer Üetlibergerreise mit eüch reden wollen, die er, so bald wärmere u. schönere Witterung eintritt, vornehmen mögte. Die Sache wegen Jgfr. L[avater] ligt ihm an: er war lezten Montag mit ein paar Cameraden übern See u. auf Horgen gefahren, u. sahe Fr. Pfr. u. eine ihrer Töchter zum Fenster hinaus schauen, u. sagte dies dem Papa, es müsse eben die Nannette gewesen seyn: er beschrieb sie ihm, u. fands so: u. seitdem strebt er darnach, zu eüch zugehen. Von dem, was ihr uns geschrieben, weisst er nichts: wir denken auch, ihr saget nichts von dem, was die l[iebe] Lisette2621
Anna Elisabetha Lavater (geb. 1772), Tochter des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater u. der Ester, geb. Vogel.schliessen
izt 2mal mit eüch sprach: wir wollen izt warten, wie es gehe, wenn sie einander sehen; u. dies wird sich wohl fügen: er muß nichts erstürmen, wie ers auch nicht will. Was die l[iebe] Lisette neü mit dir redte, frappierte mich im Innersten. Die Freüde, die diese lieben guten Leüte damit hätten, ist so was eignes, das, wie du sagst, vom Herrn kömt, der, mitten in dem Er betrübt, auch wieder so gern erfreüt. Wir bethen ihn an für beydes. Er leite alles nach seinem Rath: wir könen nichts, als bethen: "Herr! führe du unsre Kinder ihrer Bestimmung entgegen!" Izt will ich noch ein paar Worte mit Caspar reden, der noch nie mit mir über diese Sache geredet hat. Der Herr sey eüer Gott! u. seys auch uns!
ewig in Ihm die Eüern."
