16.9.–25.9.1804
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Den 16 Herbstm[onat]
Da diese Woche Synodus-Woche2299
Ab 1804 wurde die Maisynode auf den Dienstag nach dem Bettag verlegt. Die Synode wurde vom Antistes geleitet, der Bürgermeister hatte dabei den Ehrenvorsitz; vgl. Wilhelm Baltischweiler, Die Institutionen der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Zürich 1904, 56, 58ff.; Christoph Guggenbühl, Zensur und Pressefreiheit, Zürich 1996, 220-224.schliessen
war, u. Mamma2300
Anna (Nette) Schweizer, geb. Gessner (1757-1836), Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, verh. 1785 mit Diethelm Schweizer; vgl. Hauschronik, 30, 32-34, 91, 139f.schliessen
u. Tante2301
Elisabeth (Sette) Gessner (1755-1831), Schweizers Schwägerin, Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, lebte seit der Heirat Schweizers mit Anna Gessner 1785 in deren Haushalt, vgl. Hauschronik 33, 91.schliessen
sich entschlossen, mit mir in die Stadt zugehen; u. wir versprochen hatten, heüt auf Horgen zum übernachten zukommen; so begaben wir uns Nachmittag bald nach unsrer Feyrstunde2302
Unter "Feyrstunde" versteht Schweizer ein ausserhalb der Kirche im kleinen Kreis der Frommen eingenommenes "Privatabendmahl", wie er sie seit Februar 1778 in steigender Intensität mit den Töchtern der Familie Gessner feiert; vgl. im Begleitbuch zur CD das Kap. III, darin: "Gemeinschaft in Christo".schliessen
dahin auf den Weg, u. langten vor 4 Uhr im Pfarrhaus an, wo wir alle voll Freüden antrafen, daß es heüt dem l[ieben] Vetter bey seiner Predigt u. Kinderlehr außerordentlich wohl gegangen; auch er war voll froher Freüde. Es ward nun viel über diese Vikariatsangelegenheit gesprochen, auch über anders, so daß der Abend bald hingeschwunden war, u. die Zeit der Ruhe kam; Mamma u. ich schliefen in der obern Stube, deßen aber bey mir nicht viel war. Um 5 Uhr standen wir alle auf, u. machten uns reisefertig: nach 6 Uhr bestiegen wir mit Hrn. Pfarrers2303
Die Familie des Horgener Pfarrers Johann Kaspar Lavater (1735-1806), Sohn von Dekan Hans Jakob Lavater in Neunforn, Vetter des Zürcher Pfarrers und Physiognomikers Johann Caspar Lavater, seit 1781 Pfarrer von Horgen, verh. 1768 mit Ester, geb. Vogel (geb. 1741), Tochter von Hans Caspar Vogel u. Anna, geb. Lavater; ZhPfrB, 403; J.P. Zwicky, Die Familie Vogel von Zürich, 152.schliessen
das Schiff, u. fuhren so in die Stadt, wo wir um 10 Uhr anlangten, u. wir uns mit einander zum Kleinod2304
Haus am Rennweg 10, das über Generationen im Besitz der Familie Keller vom Steinbock war. Zu jener Zeit wohnte die "Jungfer Tante" Anna Barbara Keller (1735-1810) und von Elisabeth Gessner-Kellers (gest. 1797) Kindern nur noch Dorothea (Döde) dort.schliessen
begaben, wo Jgfr. Tante2305
Anna Barbara Keller (1736-1810), jüngste Tochter von Hans Balthasar Keller u. Regula, geb. Landolt, Schwester von Elisabeth Gessner-Keller; vgl. C. Keller-Escher, Genealogie der Familie Keller vom Steinbock von Zürich, Bd. 1 u. 2 (ZBZ, Ms Z II 613 u. 613a).schliessen
der Mamma u. mir Logie gab; die l[iebe] Sette begabe sich Abends in den Schönenhof,2306
Stadthaus der Barbara Schulthess-Wolf, an der Ecke Kühegasse (heute Rämistrasse) – Stadelhofgasse gelegen. Seit seiner Heirat mit Anna Schulthess wohnte auch Jakob Gessner d.Ä. dort.schliessen
um da zulogieren. Ueber diesen unsern Stadtbesuch bemerke ich hier folgendes –
1.
Allerorthen, wo wir bey unsern Lieben u. Bekannten Besuche machten, wurden wir mit mehr als gewöhnlicher Liebe aufgenohmen u. behandelt; alles beeiferte sich, unsern Aufenthalt in der Stadt uns recht lieb zumachen; alles freüte sich mit uns über unsre dermalige gute Lage im Hirzel; u. auch über die Hilfe, die uns nach der lezten Ostern durch das schweizerische Militair geschahe, wovon wir viel erzählen mussten.
2.

Ueber die gehaltene Synode bemerke ich nur dieses: Der erste Tag ward meist mit Wahlen zugebracht: es ward ein neüer Dekan2307
Hans Kaspar Fäsi (1755-1834), ord. 1776, 1778 Hauslehrer in Kyburg, 1784 in Cleven, 1789-1795 bei Landvogt Karl von Bonstetten in Nyon, 1797 Pfr. in Rifferswil, 1804 Dekan, später Schulinspektor; ZhPfrB, 266.schliessen
ins Freyamt-Kapitel gemacht; so dann wurden 4 Mitglieder in den grossen – Bezirksweise, u. aus der ganzen Synode ein Mitglied in den kleinen Kirchenrath2308
Der Kirchenrat ersetzte seit 1803 den Examinatorenkonvent der Zeit vor der Revolution; er ist aufgeteilt in einen kleinen Konvent, der mehr od. weniger dem früheren Examinatorenkonvent entspricht, und einem grossen Konvent, der aus dem kleinen Konvent, den Dekanen und vier Geistlichen der Landschaft besteht; Baltischweiler, Die Institutionen der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, 67-87.schliessen
gewählt. am zweiten Tag hielt Herr Dekan v. Leer2309
Heinrich von Lähr (1739-1812), ord. 1762, Hauslehrer, 1773 Pfr. in Grönenbach im Allgäu an Stelle seines Bruders Leonhard (1730-1806), 1792 in Laufen, 1800 Dekan, auch Schulinspektor, 1803 in Marthalen; ZhPfrB, 399.schliessen
eine musterhafte Rede über die schnellen Fortschritte der Neologie2310
Strömung der deutschen Aufklärungstheologie, die auf Gefühl und Verstand aufbaut und die historisch-kritische Bibelforschung einleitet; RGG I, 946; gegen frühere Strömungen der Aufklärungstheologie hatte sich schon Lavater in einer Synodalrede gewandt; vgl. Johann Caspar Laver, Synodalrede gegen Deismus und kirchlichen Rationalismus, in: Ausgewählte Werke, hg. v. Ernst Stähelin, III, 1-27.schliessen
in Deütschland, wo er viele Belesenheit zeigte, aber nur zu weitlaüftig war: er redte beynahe an die zwo Stunden; daher die Reflexionen darüber sehr kurz ausfielen.
3.

Mit aller Ruhe u. überlegter Entschloßenheit übernahm in dieser Woche der l[iebe] Jaque das Vikariat zu Horgen: wer hievon hörte, bezeügte sowohl gegen ihn als gegen die Lieben zu Horgen theilnehmende Freüde. Alles stehet in der getrosten Erwartung, es werde dem Lieben an diesem Orth recht wohl gehen; u. er werde sich auf eine künftige eigne Pfarrey hier gut praeparieren könen.
4.

Weil ich mit meinen Lieben am Sontag noch allhier verbleiben wollte, so schikte ich den l[ieben] Jaque für mich in den Hirzel zupredigen: es ward am Samstag Nachmittag, wo er verreiste, aüsserst anmuthiges Wetter; ich begleitete ihn deßnahen bis nach Wollishofen: er war sehr aufgeraümt u. munter, u. wir redten über verschiedene wichtige Dinge mit einander, unter anderm auch über seinen baldigen Aufenthalt zu Horgen, wo ich ihm zum voraus weise Behutsamkeit in Absicht auf sein Betragen gegen die Horger u. in Absicht auf allfällige Unterhaltungen mit ihnen empfahl: er solle in kein Haus ohne Ruf gehen, u. auch nicht, bevor Herrn Pfarrers gefragt, was für Leüte darin wohnen; u.s.w. Zu Wollishofen ließ ich den Lieben mit aller Segnung von mir; u. ich schlug da den Weg nach der Sihl ein, der aüsserst lieblich bald durch ofne Fruchtbare Felder u. Weinberge, bald durch angenehme Wäldli führte. Es war mir unbeschreiblich wohl in dieser meiner Alleinheit; [101] viele Stellen, zu denen ich kam, erinnerten mich an meine Jugend, in der ich diese einsamen Gegenden oft besuchte, u. manche rührende Erwekung fand. Bald war ich auf der Wollishofer Allment, die ich der Sihl nach mit vielem Vergnügen durchwandelte, u. mich über die vielen neüen Aufbrüche,2311
Neu gepflügtes Land, vgl. Grimm 1, Sp. 630.schliessen
freüte, die ich da wahr nahm. Das ist besser u. nüzlicher, dacht' ich, als das ehmalige schießen aus den Kanonen auf diesem Plaz. Nun eilte ich ab der Allment Herrn Freyen2312
Wahrscheinlich ist das noch heute Freigut genannte Landgut in der Brandschenke gemeint, das nach dem Kaufmann Heinrich Frei (1730-1787), der es im 18. Jahrhundert erwarb, benannt ist; HBLS III, 246.schliessen
Gut zu, durchwandelte das u. begabe mich ins Sihlhölzli; u. von da noch in den Plaz2313
Im Gebiet des heutigen Hauptbahnhofs; dort stand bis ins 19. Jahrhundert das Schützenhaus beim "Platz", das später ins Sihlhölzli, schliesslich ins Albisgüetli verlegt wurde.schliessen
den ich ganz umgieng. Herzlich gestärkt durch diesen Wandel kehrte ich zum Kleinod zurük, allwo ich nicht nur meine Lieben, sondern auch die Lieben aus dem Schönenhof2314
Stadthaus der Barbara Schulthess-Wolf, an der Ecke Kühegasse (heute Rämistrasse) – Stadelhofgasse gelegen. Seit seiner Heirat mit Anna Schulthess wohnte auch Jakob Gessner d.Ä. dort.schliessen
antraf, u. wohin auch bald noch der l[iebe] Caspar u. Jaque2315
Wahrscheinlich die beiden Schwäger Hans Caspar und Jakob (Jaque) Gessner.schliessen
kamen. Eine ziemlich weitlaüftige, jedoch liebe Gesellschaft, die bis nach 7 Uhr blieb, u. dann in Liebe von der Jgfr. Tante u. uns schied.
5.
Den Sontag, den wir hier blieben, beschlossen wir in Dübendorf2316
Im Pfarrhaus Gessner in Dübendorf, in das Diethelm Schweizer durch seinen damaligen Freund Bremi eingeführt wurde, hatte Diethelm Schweizer seine spätere Frau kennengelernt; vgl. Tagebücher von 1777-1785 (Ms Z V 606-612); bes. den Eintrag vom 11. April 1777, Bg. 2,10f. (erste Begegnung mit Anna, Ms Z V 606) und Hauschronik, 30; vgl. auch im Begleitbuch zur CD das Kap. III, darin: "Die Liebe zu Anna Gessner".schliessen
zu zubringen. Der l[iebe] Caspar auf'm Graben2317
Hans Caspar Gessner (1748-1828), Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1779 mit Bäbe Hess; Tuchpresser; Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
kam mit uns: es schien ein regnerischer Tag werden zuwollen: dennoch verreisten wir mit Schirmen um 7 Uhr, die wir Anfangs wirklich brauchten: wir kamen eben auf die Flunterallment, als es in der Stadt in allen Kirchen einlaütete: dies, u. der Anblik der Stadt u. die Gegend, wo wir standen erinnerte uns ganz lebhaft an das andermattische Bombardement über die Stadt vor 2 Jahren;2318
Nach dem Abzug der französischen Truppen hatten sich mehrere Kantone, im August auch die Stadt Zürich, gegen die Zentralregierung erhoben. Der helvetische General Joseph Leonz Andermatt (1740-1817) sollte die Stadt daher militärisch besetzen, scheiterte aber; HBLS IV, 166; Dändliker III, 149ff.; Graber, Zeit des Teilens, 226-229; vgl. auch das Tagebuch vom 10., 12. u. 15.9.1802.schliessen
es war uns recht merkwürdig, daß wir gerade auf diese Zeit an diesen Orth zustehen kamen: so dann richteten wir unser Aug nach der Hirzler Gegend die wir so gleich bemerkten um des Rigis willen, der sich uns darstellte. Bis nach dem Laüten in der Stadt verweilten wir uns auf dieser Höhe, wo wir dann unsern Weg weiter nahmen, u. immer auf Gegenden stiessen, die uns froh erinnerten, daß es Dübendorf zugehe; so bald wir aus dem Holz auf Stettbach kamen, u. des Dorfes ansichtig wurden, fiengs da auch an in die Kirche zulaüten. Wie oft, dacht ich, hast du nach diesem Gelaüt, das uns so angenehm in die Ohren tönte, jene Kanzel in der Kirche bestiegen! Eine einzige Weibsperson von Stettbach gienge vor uns her zur Kirche. Da wir die nähere Zelge2319
Zelge = nach der Einführung der Dreifelderwirtschaft der dritte, mit der gleichen Frucht bestandene Teil der Ackerflur einer Gemeinde; Grimm 31, 600f.schliessen
des Dorfes betratten, kam Emmanuels Heiri2320
Wahrscheinlich ein Sohn des Bauern Emmanuel Fenner (gest. 1801) aus dem Dübendorfer Kreis.schliessen
uns entgegen; u. bald nach ihm auch das l[iebe] Anneli;2321
Witwe des Bauern Emmanuel Fenner.schliessen
das herzlich uns bey sich bewillkomte; bald waren wir im Dorf, wo es mitlerweile verlaütet hatte: beym Besteigen des l[ieben] Emmanuels sel. Haus – ach, wie mangelte uns er u. sein Bewillkomm! Indeß gaben wir uns nun dem lieben frohen Anneli hin, u. waren munter u. voll Freüde unter einander. Da der Morgen Gottesdienst aus war, u. wir die Leüte heim gehen sahen, kanten wir nur wenige noch, u. so gieng es uns Nachmittags, da sie in die Kinderlehre giengen – es war ein uns ganz neües unbekantes Geschlecht Dübendorfer. Weil wir während der Kinderlehre ganz allein waren, hielten wir mit dem Anneli eine Feyrstunde,2322
Unter "Feyrstunde" versteht Schweizer ein ausserhalb der Kirche im kleinen Kreis der Frommen eingenommenes "Privatabendmahl", wie er sie seit Februar 1778 in steigender Intensität mit den Töchtern der Familie Gessner feiert; vgl. im Begleitbuch zur CD das Kap. III, darin: "Gemeinschaft in Christo".schliessen
wo uns herzlich wohl war, u. wir sämtlich die stärkende Nähe des Herrn empfanden. Nach dieser unsrer Abendmahlfeyr gieng ich mit Casparn zu einer bekanten Frau, die bey ihnen gedienet: Da wir in die Stube tratten, lage sie auf der Bank, u. schien geschlafen zuhaben; u. auf dem Tisch lagen Sailers2323
Johann Michael Sailer (1751-1832), Theologieprofessor an der kath. Universität Dillingen, wurde wegen seines "Evangeliums" des Amtes enthoben. Seit 1800 Professor an der Universität Landshut und seit 1822 Koadjutor des Bischofs zu Regensburg, 1829 dessen Nachfolger; vgl. auch Tagebuch vom 18.10.1803.schliessen
Predigten, die ihr scheints von unsern Lieben ab'm Graben zulesen gegeben worden. Wir verweilten uns ein wenig bey ihr, u. dann kame sie mit uns zu Emmanuels: da wir da in die Stube tratten – wer sasse bey unsern Lieben auf der Banke? die l[iebe] Bäbe ab'm Graben!2324
Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
Herzlich bewillkommten wir sie u. so gleich sagte man uns, sie habe eine Kutsche bey sich, um uns darin heimzuhohlen. Herzlich waren wir über diesen Liebevollen Einfall froh, denn nun regnete es wirklich sehr stark, u. schien nicht so bald schohnen zuwollen. In herzlicher Liebe u. Frohheit saßen wir bey einander u. tranken den Kaffe, den das l[iebe] Anneli inzwischen gemacht: wir ließen eine alte bekante beynahe blinde Frau, die eben vorbey gieng, zu uns hinein ins Haus kommen, die dann viele Freüde bezeügte, und nicht so fast zusehen, als nur zuhören. Da sie von uns geschieden, machten wir noch einen kurzen Besuch im Pfarrhaus, wo unsre Unterhaltung meist Herrn Pfarrers2325
Pfarrer in Dübendorf wurde nach Caspar Gessners Tod Schweizers Jugendfreund und Konkurrent Johann Heinrich Bremi (1748-1832), ord. 1771, bis 1781 Vikar und Hauslehrer im Pfarrhaus Dübendorf, ab 1791 Pfr. daselbst; ZhPfrB, 216.schliessen
elenden Knaben betraf, der in einem Faulfieber2326
Lat. febris putrida: Ruhr, Typhus.schliessen
sein Gehör verloren hatte: sie erzählten uns viel von einer neüen Cur, die sie vor haben. Die Erfahrung zeigt aber, daß dergleichen Gebrechen, die vom Faulfieber entstehen, meist wieder von sich selbst weichen. Da wir wieder in Emanuels Haus kamen, schikten wir uns bald an zur Rükreise; der Wagen war schon parat, u. wir verabscheideten uns beym Anneli u. seinen Leüten, u. bestiegen nun den Wagen; voll herzlicher Liebe saßen wir da bey einander, u. kamen auf manches Wichtiges zureden, so daß wir nur zu bald die Stadt erreichten: wir stiegen auf'm Graben2327
Haus der Familie Gessner am oberen Hirschengraben; dort wohnten Hans Caspar Gessner und Bäbe, geb. Hess mit ihren Kindern, nach deren Tod bezog es die mit Johann Wichelhausen verheiratete Tochter Elisabeth Wichelhausen-Gessner; nach deren Hinschied ging das Haus in den Besitz von Johann Bernhard Spyri und Johanna, geb. Heusser über.schliessen
aus, u. jedes verfügte sich in sein Logie mit herzlicher Zufriedenheit über diesen Sontag, u. mit innigem Dank gegen unseren guten Gott, daß Er uns diesen Tag in manchem Sinn so herzlich lieb werden ließe. Mit eben diesen Gefühlen begaben wir uns zur Ruhe.
6.

Unter den vielen Besuchen, die wir machten, zeichnen sich vornemlich folgende 2 aus: einer, den ich mit meinen Lieben, u. einer, den ich ohne sie machte. Den ich mit ihnen machte, war der bey der l[ieben] Frau Pfr. Lavaterin,2328
Die Witwe von Johann Caspar Lavater, Anna, geb. Schinz (1742-1815), Tochter von Hans Caspar Schinz, Kaufmann u. Obervogt zu Weinfelden.schliessen
wo auch die l[iebe] Bäbe2329
Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
u. Nette2330
Anna Gessner-Lavater (1771-1852), Tochter von Johann Caspar Lavater u. Anna, geb. Schinz, verh. 1795 mit Hans Georg Gessner.schliessen
mit uns da war, u. nachher auch Georg2331
Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner u. der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
noch kam. Es geht mir so wunderbar – ich bin so gerne um diese th[eüre] Liebe, u. doch gehe ich selten allein zu ihr: u. noch kein Mahl ists mich, wenn ich allein gieng, gerouen. Immer seh' ich sie, so oft ich zu ihr komme u. bey ihr bin – wie ich sie in meinen Knabenjahren beym Waldreis2332
Das Haus "zum Waldreis" (Spiegelgasse 11), Elternhaus von Johann Caspar Lavater, in dem er selbst von 1741-1778 wohnte. Dort fanden einige der Treffen der Freitags- und der Monatsgesellschaft statt, an denen Schweizer als junger Mann teilnahm, und die er in seinem Tagebuch 1775-1779, etwa 30.8.1777, Bg. 9,6 u. 8.5.1778, Bg. 7,6 beschreibt; vgl. auch im Begleitbuch zur CD das Kap. II, darin: "Auf der Suche nach religiöser Gemeinschaft".schliessen
sah – am Offen stehend u. mir gute Lehren gebend. Schon von daher ist sie mir immer ehrwürdig; u. von dieser Zeit an behandelte sie mich immer gleich – oft wie einen Hausgenoßen: was mir gerade in diesem Augenblik, da ich dies schreibe, sehr auffällt im Blik auf des l[ieben] Pfenningers sel.2333
Johann Konrad Pfenninger (1747-1792), Freund Lavaters, ord. 1767, 1775 Diakon, 1778 Pfr. am Oetenbach, 1787 Diakon an St. Peter; ZhPfrB, 469.schliessen
Frau sel.2334
Katharina Pfenninger, geb. Ziegler (gest. 9.12.1796). Schweizer verstand sich nicht nur mit Pfenningers Frau, sondern auch mit Pfenninger selbst schlecht; er betrachtete Lavaters Freund als Weltchristen und verdächtigte ihn, ein Drahtzieher all jener zu sein, die seine Verbindung zu den Gessnerschen Pfarrerstöchtern zu hintertreiben suchten; vgl. im Begleitbuch zur CD das Kap. III, darin: "Dübendorfer Gemeinschaft kontra Zürcher Christen".schliessen
die mich immer fremde behandelte, so oft ich in ihr Haus kam, da sie noch bey einander auf Erde waren. Ach, wie scheinen beyde, ihren Lauf auf Erde zu frühe vollendet zuhaben! u. doch wirds nach des Herrn Rathschluß recht gewesen seyn. Doch, ich bin vom Besuch der l[ieben] Lavaterin abgekommen: herzlich wohl war uns bey einander, u. mich dünkte, es seye besonders der l[ieben] Nette recht behaglich gewesen, mit uns einmal einen Abend bey seiner2335
Hier und im Folgenden mundartl. Neutrum für das Femininum; hier: ihrer.schliessen
ihm so lieben Mamma zuzubringen. Ueber vieles ward gesprochen, u. vertraulich gesprochen, wie uns in wenigen Cirkeln zu gut ward. Die th[eüre] Lavaterin verspührt die Entrükung ihres Lavaters in vielen Rüksichten, auf die sie nur deütet, die sie aber nicht klar aussprechen kan u. darf, die man aber ihr, wenn man sie kent, abfühlet.
Der Besuch, den ich mit meinen Lieben nicht mitmachte, war der bey den l[ieben] Bremerinnen,2336
Meta Post (1769-1837), Christine Merrem (1768-1841) u. Adelheid von Lingen (geb. 1766); vgl. Tagebuch vom 13.8.1804.schliessen
von denen auch viel bey Frau Pfr. Lavaterin geredet war. Herzlich wohl zufrieden kamen meine Lieben zurük, voll froher Freüde, diese Lieben gerade so gefunden zuhaben, wie sie bey uns waren. Den herzlichsten Abschied haben sie von ihnen gemacht, u. mir von ihnen auch noch die besten herzlichsten Grüsse gebracht, worüber ich mich innig freüte. Sie scheinen mirs nicht übel genohmen zuhaben, daß ich sie mit meinen Lieben nicht auch noch besuchte, da ihre Abreise von Zürich so nahe war.
7.

Nun dachten wir wieder an unsre Heimreise, u. die machten wir so: wir giengen Dienstag Nachmittag den 25 Herbstm[onat] mit gerührten Herzen wegen allem Guten, das wir diesmal in der Stadt genossen haben, auf Bändlikon;2337
Bändlikon oder Bendlikon, heute eingemeindetes Dorf am linken Seeufer, das zur politischen sowie zur Kirch- und Schulgemeinde Kilchberg gehört, Wohnort von Anna Margaretha (Grite) Keller und Anna Catharina (Cäther)Nägeli, vorher Brunner, geb. Keller.schliessen
da bliebe Mamma u. Tante über Nacht; u. ich übernachtete beym l[ieben] Wirz2338
Hans Heinrich Wirz (1756-1834), Sohn von Hans Konrad Wirz (1726-1794), Pfr. in Kilchberg; verh. mit Anna Füssli, Tochter von Obmann Füssli; ord. 1776, Weiterstudium in Halle 1777-1778, Vikar in Kilchberg (Vertretung des kranken Vaters), 1794-1834 Pfr. in Kilchberg; 1795 Schlichtungsversuch im Stäfner Handel, Freundschaft mit Lavater und enge Beziehung zu Pfr. Schweizer während dessen Hirzler Zeit; Literaturvermittlungstätigkeit; Memorabilien der Zeit; Hauschronik, 60f.; Wernle III, 310ff.; ZhPfrB, 623.schliessen
zu Kilchberg. Morgens kamen meine Lieben auch dahin, u. wir aßen da noch zu Mittag, womit wir dem l[ieben] Wirz viel Freüde machten. Nach 2 Uhr Nachmittags verreissten wir von da, u. nahmen unsern Heimweg durch den Forst, u. über die Harrüti,2339
Hofgruppe nördlich von Hirzel-Kirche.schliessen
wo wir unsre 5 Töchtern antrafen, die sich über unsre Rükkunft herzlich freüten. Ich besuchte da noch den lieben alten u. kranken Hägi,2340
Wahrscheinlich Hans Rudolf Hägi (1723-1817), galt als "Musterbauer"; im Neujahrsblatt wird seine Krankheit als Folge des Schreckens eines Überfalls im Bockenkrieg dargestellt, dem seine Frau erlag; vgl. Neujahrsblatt der Zürcherischen Hilfsgesellschaft, Nr. 8, 1808.schliessen
mit dem es aber wieder gebessert. Da wir nach 5 Uhr nach Hause kamen, fanden wir da alles von unsern Töchtern wohl bestellt an, worüber wir uns freüten u. ihnen unsre Zufriedenheit bezeügten. Herzlich gern lebten wir nun wieder in unserm haüslichen Craiße.
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