15.10.1799
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Den 15
Morgens um 5 Uhr stand ich auf, trank mit den Lieben den Caffee; u. nach 6 Uhr machte ich mich auf den Weg nach der Stadt. Es war ein lieblicher Morgen, der mich hoffen liesse, daß ich wohl in die Stadt kommen werde: was auch geschahe; nach 8½ Uhr war ich beim Kleinod,269
Haus im Besitz der Familie Keller, in dem damals zwei Geschwister Keller lebten, die Jungfer Anna Barbara Keller (1736-1810) und die verwitwete Regula Escher, geb. Keller (1725-1800); bis zu ihrem Tod 1797 lebte auch deren Schwester Elisabeth Gessner, geb. Keller (1724-1797) dort und über ihren Tod hinaus zwei ihrer Kinder, Dorothea (Döde) und Jakob (Jaque d.Ä.) Gessner.schliessen
wo ich Döde270
Dorothea (Döde) Gessner (1749-1830), Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, ältere Schwester von Schweizers Gattin Anna, lebte damals bei Tante Anna Barbara Keller im "Kleinod"; Hauschronik, 33, 59, 91.schliessen
und Jaque271
Jakob Gessner d.Ä. (1759-1823), Schweizers Schwager, Sohn des Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1803 mit Anna Schulthess; Offizier in holländischen Diensten bis 1795, Oberrichter in Zürich, 1803 Stadtrat, 1805 Statthalter des Bezirks Zürich; vgl. Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
noch beim Morgentrinken antrafe: sie staunten recht sehr, mich in der Stadt zu sehen. Bald darauf besuchte ich die l[ieben] Tanten,272
Regula Escher, geb. Keller (1725-1800) und Anna Barbara Keller (1736-1810).schliessen
die ich wohl antraffe; so dann meinen Bruder,273
Hans Jakob Schweizer (1745-1811), Schlosser, verh. 1771 mit Susanna Erhardt von Winterthur; kauft nach Angaben des Familienbuchs Schweizer 1800 "das ehemal Engelfriedsche Hauß u. Güter auf Regensberg". Möglicherweise wollte er das Geld, das er nach der vorliegenden Darstellung seinem Bruder nicht auszahlen wollte, in diese Güter "vergraben".schliessen
mit dem ich die Erbsachen von unsrer l[ieben] Mutter274
Anna Margaretha Schweizer, geb. Schulz (1716-1799), verh. 1738 mit Ulrich Schweizer, Stadtknecht; Memorabilien der Zeit; Hauschronik, 27ff., 31ff., 36ff.; Stammbaum Schweizer im Begleitbuch zur CD.schliessen
abthun u. in Richtigkeit bringen wollte, u. der mir einige hundert fl.275
Abk. für Florin = Gulden. Der Betrag von einigen hundert Gulden liegt im Bereich des Jahresbruttoeinkommens Schweizers als Pfarrer von Hirzel; vgl. David Gugerli, Zwischen Pfrund und Predigt, 123f., 294ff.schliessen
baar Geld geben sollte, aber nicht wollte, weil er all sein Geld aufs neüe tief vergraben habe. Unwillig gienge ich von ihm weg und verfügte mich
zu unsern Lieben auf'm Graben,276
Haus der Familie Gessner am oberen Hirschengraben; dort wohnten Kaspar und Bäbe Gessner-Hess mit ihren Kindern, nach deren Tod bezog es die mit Johann Wichelhausen verheiratete Tochter Elisabeth Wichelhausen-Gessner; nach deren Hinschied ging das Haus in den Besitz von Johann Bernhard und Johanna Spyri, geb. Heusser über.schliessen
die mich herzlich empfiengen, und mit denen ich nebst Döde u. Jaque zu Mittag aße. Die Lieben hatten Arbeit u. wir konten daher nie allein seyn.
Nach 2 Uhr gieng ich in Schönhof, wo ich die l[iebe] Frau Hptm.277
Barbara (Bäbe) Schulthess, geb. Wolf (1743-1818), Freundin Goethes und Mittelpunkt des schöngeistigen Zürichs, Mutter von Georg Gessners erster Frau, Patin von Schweizers jüngstem Kind Dorothea; HBLS VI, 255.schliessen
ziemlich gebükt u. gebeügt, jedoch aüßerst freündschaftlich antrafe.
Von da gieng ich zu Herrn Antistes,278
Vorsteher der Zürcher Kirche und Pfarrer am Grossmünster; damals Johann Jakob Hess (1741-1828), ord. 1760, dann Vikar seines Onkels Kaspar in Neftenbach, anschliessend ausführliches Bibelstudium, Grundlage seines grossen theologischen Werks, 1777 Diakon am Fraumünster, 1777-1795 Präs. der Asketischen Gesellschaft, 1795 Antistes; HBLS IV 208f.; ZhPfrB, 334f.; ADB; G. Gessner, Blicke auf Leben und Wesen von J.J. Hess, 1829, F. Ackva, Johann Jakob Hess (1741-1828) und seine Biblische Geschichte, Bern 1992; Nachlass in ZBZ: FA Hess 1741, und StAZ: Amtsnachlass.schliessen
der mir sehr munter u. wohl getröstet vorkam.
So dann um 4 Uhr zu Lavater.279
Johann Caspar Lavater (1741-1801), Sohn des Johann Heinrich, Arztes, und der Regula Escher vom Glas, verh. 1766 mit Anna Schinz; ord. 1762, 1765 Mitglied der Helvetischen Gesellschaft und Mitarbeiter am Erinnerer, 1769 Diakon, 1775 Pfr. am Oetenbach, 1778 Diakon, 1787 Pfr. an St. Peter. Mit seinen Werken, bes. den Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1783-1787) und den Aussichten in die Ewigkeit (1768/69) wurde er eine europäische Berühmtheit, unterhielt Kontakt mit u.a. Spalding, Herder, Jung-Stilling, Claudius, Goethe; HBLS IV, 636; ZhPfrB, 403; Killy VII, 181-183.schliessen

Da wir uns herzlich gegrüsst hatten, faltete der Theüre die Hände u. priese laut die Gnade u. Erbarmung, mit der der Herr Ihn in diesem Unfall führe u. trage. Bald kam der Arzt, um die Wunden zuverbinden. Nun müssen Sie, sagte Lav[ater] zu mir, dieselben auch sehen.
Sie wurden geöfnet. Herr, mein Gott! welch ein Anblik für mich! Ists möglich, rief ich in meinem Innern aus, daß Lav[ater] noch lebt! Die eine bey der rechten Brust schien so groß wie 1 Nthlr,280
1 Neutaler (= 80 Schilling) hatte einen Durchmesser von rund 4 cm.schliessen
die andre an der linken Brust war etwas kleiner; beyde eiterten stark: da ich sie besichtigte, u. der Arzt neben bey etwas zurecht machte, sagte Lav[ater] in einem etwas leisen Tone zu mir: "Sehen Sie, er deutete auf die Wunde zur Rechten – das ist die grosse, und das – auf die Wunde zur Linken deütend, das ist die kleine Republik: beyde sind durch mich gefahren!" Ein freylich launichtes, aber auf viel deütendes Wort, das Lav[ater] freylich nicht zu vielen andern sagen würde. Da izt mehrere Besuche kamen, verabscheidete ich mich bey dem Theüren u. auch bey seiner Frau,281
Anna Lavater, geb. Schinz (1742-1815), Tochter von Hans Caspar Schinz, Kaufmann u. Obervogt zu Weinfelden.schliessen
die sehr von allem mitgenohmen ist.
[15] Von da gieng ich wieder auf'n Graben, wo der l[iebe] Emmanuel282
Der Bauer Emmanuel Fenner (gest. 1801) aus Dübendorf, Angehöriger jenes Kreises von Frommen, deren Mittelpunkt Diethelm Schweizer in seiner Dübendorfer Zeit war; Georg Finsler, Georg Gessner, 19f.schliessen
auf mich wartete, den zusehen mich herzlich freüte: aber er musste, weil es anfieng zunachten, bald fort. Mit der Döde,283
Dorothea (Döde) Gessner (1749-1830), Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, ältere Schwester von Schweizers Gattin Anna, lebte damals bei Tante Anna Barbara Keller im "Kleinod"; Hauschronik, 33, 59, 91.schliessen
blieb ich noch bis 7 Uhr auf'm Graben, wo wir uns verabscheideten, u. zwar ich für gut284
Mundartl. Verstärkungs- u. Bekräftigungsformel: wirklich, endgültig.schliessen
denn ich war nun entschlossen, Morgens wieder nach Hause zukehren.
Da wir beym Kleinnod allein waren, zeigte mir Döde seine285
Hier und im Folgenden mundartl. Neutrum für das Femininum; hier: ihre.schliessen
linke Brust, für die es wegen einer aufgeschwollenen Drüsen medizinirt: die Geschwulst hatte sich Gottlob schon weit hinan gesezt, u. die Liebe empfindet keine Schmerzen. Unsre Bäbe hatte uns jüngsthin von dieser Brustkrankheit unsrer Döde geschrieben; und da wollte uns um die Liebe bang werden: allein ich ward nun frohen Muthes u. hoffe zuversichtlich, diese Krankheit werde in nichts Schlimmers ausarten.

 


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