14.11.1802
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Sontag den 14
Ein fürchterlicher banger Tag für uns ... nicht allein darum, weil mir die Kanzel so gewaltthätig, u. durch solche rohe Buben, denen Religion u. Gottesdienst gewiß nicht am Herzen ligt, entrissen ward; sondern vornehmlich darum, weil uns durch Schuhlmeistern /ob geflißentlich oder aus Intresse für uns? weiß ich nicht/ Sachen hinterbracht wurden, die schon lange in der Gemeine über mich herum gebotten worden seyen, aus denen wir deütlich ersahen, daß, wenn die Rotte wegen dem Politischen nicht zu ihrem Zwek gelangen werde, sie mich an meinem Lehramt u. an meinem moralischen Charakter angreiffen werde. Schuhlmeister entdekte uns einige dieser in der ganzen Gemeinde rollirender Sachen, von denen viele aüsserst wichtig, u. daher sehr kränkend, viele minder wichtig u. zum lachen sind; aber alle von der Beschaffenheit, daß meine Kranken- und Hausbesuche fürchterlich mißdeütet, u. meine Güte, Liebe, Freündlichkeit, Wohlthätigkeit gegen Erwachsene u. Kinder übel genohmen u. schief gestellt ward. All das machte uns bange, umso mehr, weil man gar nicht weisst, wie viel Macht u. Gewalt dem heütigen Revolutions-Sinn u. Geist gegeben ist. Ich war auf dem Punkt – wenn dergleichen inmoralische Sachen wieder mich zum Vorschein komen sollten, so gleich abzubrechen u. zu resigniren.
Unsre Angst u. bange Furcht, die Schuhlmeister noch damit erhöhte, daß er fragte – ob's in unsern Tagen wol auch möglich sey, unschuldige mit falschen Zeügen zuverurtheilen, wies zu des Herrn Jesu Zeiten geschehen sey? dauerte fort bis auf den Abend, wo Hürlimann754
Vermutlich Hans Caspar Hürlimann, Stillstandspräsident 1800-1802.schliessen
aus dem Wolfensbühl755
Hof, ca. 1 km nördlich von Hirzel-Kirche.schliessen
zu mir kam; ein junger, sehr verständiger, noch lediger Mensch, der Praesident in der vorigen Munizipalität war, u. als solcher der Gemeine viele gute Dienste leistete.
Der bezeügte mir, daß er innigen Antheil an meinem Schiksal nehme, u. nicht zugeben könne, daß die Schande auf die Gemeine komme, durch eine solche Rotte einen guten Pfarrer zuvertreiben: es dünke ihn, "es sollten 2 Munizipalen in der Stille in der Gemeine herum gehen, u. jeden Hausvater fragen, ob er wolle, daß ich bleibe? sage er Ja, so müsse man ihn aufschreiben, sage er Nein, so müsse man ihm bezeügen, daß er zu der Rotte gehöre, u. allso auch mit ihr werde bezahlen müssen. Er wisse gewiß, daß der weit mehrere u. dazu bessere u. fassonlichere756
Von frz. façon (Form, Anstand, Benehmen): anständigere.schliessen
Theil der Gemeine für mich gestimmt seye."
Dieser Rath war meinen Wünschen ganz angemeßen; nur machte ich die Einwendung, daß die hiessige Munizipalität, die nicht gut für mich gestimt sey, einen solchen Schritt ohne Aufforderung von der Regierung nicht thun werde. Ja, erwiederte Hürlimann, er wisse das wol: u. er habe daher, wenns mir gefalle, im Sinn, Morgen für mich zum Praesid[enten] der Verwaltungsk[ammer]757
Im zentralistischen System der Helvetik waren die Verwaltungskammern die kantonalen Organe, die nach der Verfassung für den Vollzug der Gesetze über die Finanzen, den Handel, Landwirtschaft und Industrie zuständig waren. Sie bestanden aus einem Präsidenten und vier Beisitzern, die vom Wahlcorps ernannt wurden; vgl. ASHR I, 584.schliessen
zugehen, ihm den ganzen Handel zuerzählen, u. dann seines Raths zupflegen: auch wolle er zu meinem Schwager gehen u. mit dem das weitere abreden. Mit vielem Dank nahm ich dies Anerbieten an, u. empfahle mich seiner Freündschaft. Und weil er so aufrichtig theilnehmend sich mir zeigte, so ließ ich mich mit ihm über die fürchterlichen Gerüchte ein, die Schuhlmstr uns heüt überbracht hatte: er lächelte dazu, u. sagte: "Das ist alles Weibergeschwäz, auf das man nicht achten muß: damit wird nichts ausgerichtet."
Schon während dem Seyn dieses l[ieben] Menschen bey mir fasste meine Seele Muth u. Trost: u. da er fort war, u. ich dies alles meinen Lieben erzählte, da wurden auch sie wieder froh: wir fassten die Hofnung, daß, da die Bessern sich für mich hervor thun, die wieder mich sich erhobene Rotte nicht zu ihrem Zweke kommen werde: wir hatten noch einen muntern u. frohen Sontag Abend.
Uebrigens hab ich durch alles mir heüt Ueberbrachte meine Gemeine kennen gelernt, wie ich sie bisher nicht kannte: u. wenn ich hier zubleiben habe, werd ich – wie noch nie vorsichtig u. weise wandeln u. handeln müssen. Es ist eine Gemeine, der eigentlich kein Pfarrer recht machen kan: sie ist sichs gewohnt, über ihren Pfarrer zuschwäzen, u. zwar schon seit mehr als 100 Jahren, indem sie schon zween Pfarrer auf solche Weise von sich getrieben,758
Pfarrer H.J. Wonlich (im Hirzel 1676-1692) und Pfarrer H.H. Weggler (im Hirzel 1709-1722); vgl. Albert Heer, Die Kirche auf dem Hirzel, Wädenswil [1942], 46f.schliessen
wie sies nun mit mir angefangen hat: Wo das in eine Gemeine einreisst, da pflanzt es sich von Geschlecht zu Geschlecht fort, u. hemt auch des besten Pfarrers gute Wirkungen.

 


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