14.10.1799
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Den 14 Weinm[onat]
Wagte ichs einmal in die Stadt zugehen; kam aber diesen Tag nicht weiter als bis auf Brunnen,267
Brunnen, Hof bei Bendlikon (Kilchberg), Wohnort der beiden Schwestern Anna Margaretha (Grite) Keller und Anna Catharina (Cäther) Brunner, geb. Keller.schliessen
wo ich wegen starken Regens bleiben u. übernachten musste.
Ich besuchte den l[ieben] Pfarrer Wirz, den ich hinter einem Haufen Schriften antrafe, die er zerriß. Ey wozu das? fragte ich. Ja, erwiederte er, wenn sie so unsicher wären wie ich, sie würden gewiß auch alles zerreissen, was Feinde mißbrauchen könten: u.s.f.
Der Liebe erzählte mir hierauf, in welcher gefährlichen Lage er gewesen, u. in welcher misslichen Lage er noch seye: u. das meist durch Verrätherey seiner Gemeinsgenossen, was ihn am meisten kränke: wirklich ist der Theüre ganz niedergeschlagen u. Muthlos. Ich suchte ihn zuermuntern, so gut ich konnte: u. mein Besuch schien ihm wohl zuthun. Ich kehrte zu den l[ieben] Baasen zurük.
Ich wollte mit ihnen im Testament lesen; allein es war ihnen mehr um reden, u. da nahm ichs auch an, besonders, da es mich und meine Lieben betraf: sie eröfneten mir nemlich, "daß wir durch unser Christenthum u. durch unsre christlichen Raisonnements die Schwachen mehr erschreken als gewinnen: man verstehe uns nicht, u. wir geben statt der Milch so gleich Kraut zuessen: so seye es ihnen im Anfang, da wir in Hirzel gekommen u. sie uns da besucht, selbst gegangen: sie haben sich in unsre hohe Sphäre nicht erheben können, u. da seyen sie oft mehr Muthlos worden, als belehrt u. unterrichtet." u.s.f.
Ich antwortete ihnen mit lachendem Mund: ihre Freymüthigkeit rühre mich, aber ihre Aüsserung befremde mich: wenn man uns nicht verstehe, so rühre das gewiß nur von Nichtkenntniß der Schrift her. Das führte uns auf das Lesen der H[eiligen] Schrift, wie die vor allem aus um ihrer selbst u. nicht um unsertwillen gelesen werden müsse. Wer sie nur um sein selbst willen lese, z. B. um Trost in Leiden daraus zuschöpfen, der faße sie einseitig: hingegen wer sie um ihrer selbst als Gottes uns anvertrautes Buch lese, der fasse sie in ihrem großen feyrlichen Ganzen: u.s.f.
So dann redten wir mit einander auch davon, daß jeder Christ eine Erwekungszeit haben, u. daß er die genau u. bestimmt wissen u. Jedermann müsse angeben könen. Auch dies schien den Lieben neü zuseyn; nach einigen Erlaüterungen aber u. Beyspielen begriffen sies.
Nach dem Nachteßen folgte eine andere Entdekung.
Die Lieben haben uns neülich schon ein paarmal von einem Freünd Nägeli268
Rudolf Nägeli, Bauer und Seckelmeister aus Kilchberg, heiratete im März 1800 Anna Catharina Brunner, geb. Keller; vgl. hier den Bericht vom 27.9.schliessen
geschrieben, den sie in ihrer Nachbarschaft haben, und der sich gar sehr für sie intreßire: er war heüte zwischen 11 u. 12 Uhr hier, so daß ich ihn von Person kennen lehrte: von dem fiengen sie nun näher an reden, u. entdekten mir endlich, "daß die l[iebe] Frau Pfarrer mit ihm in ein ehliches Versprechen eingetretten seye:" beyde bezeügten, daß es bey ihnen Herzensüberzeügung sey, daß es Leitung vom Herrn u. sein Wille sey. Was ich ihnen hierauf sage? Ja, erwiederte ich – was kan ich sagen? die Sache scheint entschieden zuseyn: u. wenn ein Mensch mir sagt: "Das u. das ist bey mir Herzensüberzeügung, daß es Wille des Herrn seye, so muß ich diese Ueberzeügung respektiren u. kan nichts anders sagen als – so geschehe der Wille des Herrn." Und mit dieser Aüsserung waren die Lieben zufrieden: noch sagten sie mir, daß dieser ihr Freünd ein Witwer sey, 3 Töchtern u. noch seine Aeltern habe; daß er sehr religios seye u. nicht unerfahren in auffallenden Gebethserhörungen. Ich ließ nun alles gelten; bethete noch mit den Lieben, u. begabe mich dann in meine Kammer.
Und da schlief ich eben nicht so gleich; lange beschäftigte mich dies Ehversprechen, das mich immer bänger machte: ach, warum muß auch alle christliche Freündschaft so gleich in ehliche übergehen! u. dann so zweyerley Kinder zusamen bringen, zu denen noch eine dritte Art kommen kan; u. die haüsliche Ruhe u. Stille, in der die Lieben bisher gelebt, an ein – wenn auch nicht weitlaüftigen Baurengewerb vertauschen; u.s.f. anders, das mich für die Lieben fürchten machte. –

 


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