10.5.1798
Erinnerungs-Sterbetag unsers theüren Casparlis.
Frühe schwebtest du mir heüte vor, du mein lieber Liebling! wie must du in den 2 Jahren deines nicht mehr bey uns seyn in unsers Herrn Reich heran gewachsen seyn!,119
Anmerk[ung]
Dies dünkt mich schreklich gewaget; ach, bricht die aus, alldieweil die Franken noch bey uns sind, so giebts ein schrekliches Blutbad: O Gott! schone du unser u. unser erbarme dich! Weiter nun schreibt unsre Bäbe ...
Frühe schwebtest du mir heüte vor, du mein lieber Liebling! wie must du in den 2 Jahren deines nicht mehr bey uns seyn in unsers Herrn Reich heran gewachsen seyn!,119
Wie Lavater in den Aussichten in die Ewigkeit (v.a. 11.–15. Brief) scheint hier auch Schweizer einen Prozess der physischen und geistigen Vervollkommnung im Jenseits anzunehmen; im Übrigen ist die Stelle ganz von seiner Erwartung der Endzeit geprägt, die ihn mit seinem toten Caspar wieder vereinen soll.schliessen
O daß mein Aug dich sähe – meine Hand dich führen könnte! Doch bald bald kommen wir zu dir – die Zeit schweint120Mundartl. "schwiinet": schwindet dahin.schliessen
u. die Tage werden schreklich böse, u. der Herr nahet! Vernihmst du etwas von seinem baldigen sich Aufmachen, so flüstere mir, kanst du u. darfst dus, in die Ohren! Siehe, wir plangen121"plangen auf" mundartl für: sich sehnen nach.schliessen
auf Ihn mehr, als der Wächter auf den Morgen planget!122Vgl. Ps. 130,6 .schliessen
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Aus einem heutigen Brief von unsrer Bäbe123Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
... "Es ist allhier in der Stadt ein immerdariger Ab- und Zumarsch von französischen Truppen; u. auf französischen Befehl wurden gestern u. heüte Canonen auf alle Schanzen gepflanzet: man fürchtet halt das Volk, das entsetzlich aufgebracht ist; u. will sich damit schützen u. eine Gegenrevolution hintertreiben, denn auf eine solche ists abgesehen."
Anmerk[ung]
Dies dünkt mich schreklich gewaget; ach, bricht die aus, alldieweil die Franken noch bey uns sind, so giebts ein schrekliches Blutbad: O Gott! schone du unser u. unser erbarme dich! Weiter nun schreibt unsre Bäbe ...
"Wir sind in einer wunderbaren Lage, u. wie es kommen soll, das weiß nur unser Gott: und wohl uns, daß Er es weisst: Ohne seinen willen geschiehet nichts; u. Niemand vermag das Geringste zuthun, was nicht seine Hand u. sein Rath beschlossen, daß es geschehen solle. Freylich bloß menschlich sind wir von aller Hilfe entblösst, könten nicht unter mehr fremder und einheimischer despotischer Bottmäßigkeit stehen; alles sichtbare entschwindet täglich mehr vor unserm Blick, u. wir müssen uns blindlings und im Dunkeln auf unsers Gottes Hand verlaßen: aber sie ist gewiß immer ausgestreckt nach uns, u. hält u. trägt uns über bitten und erwarten, u. wird uns nie nie verlassen!" – –
"Ja gewiß hätten die Schweizer über ein 10mal größere Frankenarmee gesieget, wenn sie Eins gewesen, u. keine Verräther unter sich gehabt hätten: aber es musste allso zugehen, auf daß erfüllet würde, was der Herr in seinem Plan beschlossen hat: u. wir legen vor Ihm die Hand auf den Mund, schweigen u. bethen an, u. biegen uns deemüthig unter seine züchtigende Hand. Aber bey all dem ist es uns erlaubt zusagen: 'Weehe denen, die das Vaterland verrathen u. in die Hände unsrer Feinde verkauft haben!' Wohl dem Volk, das der Herr züchtigt, u. das seine Züchtigung deemüthig annihmt! Aber, weehe denen, die der Herr zu Zuchtruthen brauchen kan für andre: Er wird sie brauchen, bis sie abgenuzt ist, u. dann den Rest dem Feüer übergeben."124
"Heß125
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"Heüt gekommene Briefe von St. Gallen sagen auch, daß die theüren Lieben nun auch in der Erwartung der Franzosen stehen; u. dennoch ruhig u. Muthvoll sind. Auch ihnen hat sich der Herr nie unbezeugt gelassen: u. so wird Er sie vor allem Allem schüzen."
"Ja gewiß hätten die Schweizer über ein 10mal größere Frankenarmee gesieget, wenn sie Eins gewesen, u. keine Verräther unter sich gehabt hätten: aber es musste allso zugehen, auf daß erfüllet würde, was der Herr in seinem Plan beschlossen hat: u. wir legen vor Ihm die Hand auf den Mund, schweigen u. bethen an, u. biegen uns deemüthig unter seine züchtigende Hand. Aber bey all dem ist es uns erlaubt zusagen: 'Weehe denen, die das Vaterland verrathen u. in die Hände unsrer Feinde verkauft haben!' Wohl dem Volk, das der Herr züchtigt, u. das seine Züchtigung deemüthig annihmt! Aber, weehe denen, die der Herr zu Zuchtruthen brauchen kan für andre: Er wird sie brauchen, bis sie abgenuzt ist, u. dann den Rest dem Feüer übergeben."124
Die Stelle ist zwar kein wörtliches Bibelzitat, sie ist aber dem Kapitel "Weheruf über Assyrien. Errettung auf Zion", Jes. 10,5-27 , ähnlich.schliessen
– – – "Heß125
Johann Jakob Hess (1741-1828), ord. 1760, dann Vikar seines Onkels Kaspar in Neftenbach, anschliessend ausführliches Bibelstudium, Grundlage seines grossen theologischen Werks, 1777 Diakon am Fraumünster, 1777-1795 Präs. der Asketischen Gesellschaft, 1795 Antistes; HBLS IV 208f.; ZhPfrB, 334f.; G. Gessner, Blicke auf Leben und Wesen von J.J. Hess, 1829, F. Ackva, Johann Jakob Hess (1741-1828) und seine Biblische Geschichte, Bern 1992: Nachlass in ZBZ: FA Hess 1741, und StAZ: Amtsnachlass.schliessen
u. Lavater,126Johann Caspar Lavater (1741-1801), Sohn des Johann Heinrich, Arztes, und der Regula Escher vom Glas, verh. 1766 mit Anna Schinz; ord. 1762, 1765 Mitglied der Helvetischen Gesellschaft und Mitarbeiter am Erinnerer, 1769 Diakon, 1775 Pfr. am Oetenbach, 1778 Diakon, 1787 Pfr. an St. Peter. Mit seinen Werken, bes. den Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1783-1787) und den Aussichten in die Ewigkeit (1768/69) wurde er eine europäische Berühmtheit, unterhielt Kontakt mit u.a. Spalding, Herder, Jung-Stilling, Claudius, Goethe; HBLS IV, 636; ZhPfrB, 403; Killy VII, 181-183.schliessen
haben die Hoffnung, daß uns noch zum Theil könne geholfen werden, noch nicht aufgegeben: beyde erwarten noch einen Punkt der Ruhe127Punkt der Ruhe oder Ruhezeit, wie er es in einem Eintrag vom 1.6.1798 nennt, scheint bei Schweizer die Zeit der Vorbereitung der Christen vor dem Ansturm des Antichristen zu sein, die ihrer Sammlung dient.schliessen
ehe die großen Revolutionen, die dem Kommen unsers Herrn vorgehen werden, herein brechen: das Böse und das Gute scheint ihnen noch nicht reif genug: beyde erwarten etwas Entscheidendes, das uns von dem izigen Druck erlösen werde; Etwas, das man als Hilfe Gottes, oder als blossen Zufall, oder als natürliche Folge der Dinge ansehen könne, je nach dem der Sinn ist, mit dem man sieht."128Bäbe Gessner hatte dies wahrscheinlich aus Hess' Predigten herausgehört. Hess beschäftigte sich im Laufe des Jahres 1798 in einer Reihe von Predigten mit dem Revolutionsgeschehen und stellte die Staatsumwälzung immer mehr in einen eschatologischen Kontext. Es sei die Zeit gekommen, "in der man sich entweder zur Religion erwecken lasse oder sich von ihr abwende". Friedhelm Ackva, Johann Jakob Hess, 228; vgl. auch Wernle, Helvetik I, 480. Zu Lavater vgl. Klaus Martin Sauer, Die Predigttätigkeit Johann Kaspar Lavaters (1741-1801). Darstellung und Quellengrundlage, Zürich 1988, 324-329.schliessen
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"Heüt gekommene Briefe von St. Gallen sagen auch, daß die theüren Lieben nun auch in der Erwartung der Franzosen stehen; u. dennoch ruhig u. Muthvoll sind. Auch ihnen hat sich der Herr nie unbezeugt gelassen: u. so wird Er sie vor allem Allem schüzen."
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