8.6.–11.6.1803
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[71] Mitwoch bis Samstag, den 8–11 Brachm[onat]
Stadtbesuch,
über den ich folgendes bemerke ...
1.
Mit meiner Nette1481
Anna Schweizer, geb. Gessner (1757-1836), Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, verh. 1785 mit Diethelm Schweizer; vgl. Hauschronik, 30, 32-34, 91, 139f.schliessen
war ich bey allen unsern Geschwistern u. Freünden: wir waren sehr viel um den l[ieben] Jaque1482
Jakob Gessner d.Ä. (1759-1823), Schweizers Schwager, Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1803 mit Anna Schulthess; Offizier in holländischen Diensten bis 1795, Oberrichter in Zürich, 1803 Stadtrat, 1805 Statthalter des Bezirks Zürich; Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
u. seine Braut,1483
Anna Schulthess aus dem "Schönenhof" (geb. 1775), Tochter der Bäbe Schulthess-Wolf, verh. 18.10.1803 mit Jakob (Jaque) Gessner.schliessen
u. diese sehr viel um uns; wir genossen aller herzliche Liebe.
2.
Die l[iebe] Döde1484
Dorothea (Döde) Gessner (1749-1830), die älteste Schwester von Jakob (Jaque) Gessner; sie hatte seit dem Tod ihres Vaters 1790 mit der Tante Anna Barbara Keller (1736-1810) im "Goldenen Kleinod" gewohnt, seit der Rückkehr ihres Bruders aus dem Solddienst 1795 auch mit ihm, und blieb nun bis zum Tod der Tante 1810 mit ihr allein zurück; vgl. Hauschronik, 33, 59, 91.schliessen
beym Kleinod ist über Jaquens Verlobung wie aufgebracht; es1485
Mundartl. Neutrum für das Femininum: sie.schliessen
kan sich beynahe nicht drein finden, daß der Liebe sich eine Lebensgenossin gesucht hat. Die Jgfr. Tante,1486
Anna Barbara Keller (1736-1810), Schwester von Elisabeth Gessner, geb. Keller. Mit Dorothea und Jakob (Jaque d.Ä.) Gessner wohnte sie im "Kleinod", dem Stadthaus der Familie Keller am Rennweg 10.schliessen
die erst auch darüber staunte, scheint sich zuberuhigen.
3.
Ich war bey Jkr. Bürgermeister Escher,1487
Johann Conrad Escher vom Luchs (1761-1833), Sohn des Johann Heinrich, Ratsherrn, und der Dorothea Ott, verh. 1785 mit Anna von Muralt, Tochter des Conrad. 1782 Zürcher Sanitätsschreiber, 1783 Ratssubstitut, 1785 Oberratssubstitut und Legations-Sekretär, 1787 Unterschreiber, 1794 Stadtschreiber, 1798-1802 Mitglied der Verwaltungskammer des Kt. Zürich (1801-1802 Präs.), 1799 Mitglied des Grossen Rats der Helvetik, dann Mitglied der Notabelnversammlung zur Beratung der neuen Helvetischen Verfassung, 1803-1814 Bürgermeister des Standes Zürich, 1805, 1811, 1817 und 1820 Tagsatzungsgesandter; HBLS III, 75; HLS III, 301.schliessen
u. bey Hrn. Rathsherr Rahn;1488
Salomon Rahn (1766-1836), Sohn des Hans Heinrich (1734-1796); 1794-1798 Landschreiber der Grafschaft Baden, 1803-1836 Mitglied des Grossen Rats, 1803-1831 des Kleinen Rats. Rahn war Vorsteher der Justiz- und Polizeikommission; HBLS V, 521.schliessen
erzählte ihnen das Urtheil des Distriktsgerichts Horgen über den Huber,1489
Jakob Huber im Feld, der Anführer von Schweizers Gegnern; vgl. Hauschronik, 43f., 51f.schliessen
u. deßen Drohungen gegen mich und mein Leben: beyde sagten – sie müßen die Weisung des Distriktgerichts erwarten, ehe sie weiter etwas thun u. verordnen könen: trugen mir anbey auf, daß ich ihnen die Drohungen des Hubers schriftlich eingeben solle: was ich auch thate. Jkr. Bürgermeister liesse sich weitlaüftig mit mir über meine ganze Lage ein: er sagte: "es seyen schon mehrere Beyspiele, daß, wo es an einem Ort mit dem Pfarrer u. der Gemeine so weit wie mit mir gekommen, es nicht mehr gegangen seye, u. der Pfarrer zulezt habe weichen müsse[n];1490
Das gilt in der Zeit der Helvetik für mehrere Gemeinden. Gleich zu Beginn der Helvetik wurden die Pfarrer von Hombrechtikon, Thalwil und Schönenberg von ihren Gemeinden wegen politischer Differenzen abgesetzt. Gegen mehrere Pfarrer liefen aus politischen Gründen Administrativuntersuchungen: Pfarrer Meyer von Weisslingen und Pfr. Hofmeister in Niederwenigen wurden wegen proaristokratischer resp. proösterreichischer Aussagen im Amt suspendiert; Pfr. Meyer aus Wald wurde 1802 durch den prohelvetischen Pfarrer Georg Christoph Tobler ersetzt und nach Wetzikon versetzt, wo er sofort wieder Zielscheibe von politischen Angriffen wurde; weitere Fälle bei Wernle, Der schweizerische Protestanismus in der Zeit der Helvetik, I, 363f., 483-488, 579-583; Graber, Zeit des Teilens, 217f.; Guggenbühl, Zensur und Pressefreiheit, 222f.schliessen
so fürchte er, werde es auch mit mir kommen: wenn sie den Huber gefänglich einziehen, u. ein halbes Jahr gefangen halten u. dann wieder los laßen, so werde der seine Teüfeleyen so gleich wieder anfangen: es dünkte ihn daher gut, wenn ich nach u. nach an eine Abaenderung denken würde." Ich erwiederte mit Muth u. Bescheidenheit – "der gleichen Fälle, wo der Pfarrer habe weichen müßen, seyen mir auch bekannt; aber allemal habe der Pfarrer entweder mit seiner Gemeine prozessirt, oder sich sonst in etwas vergangen: bey mir seye das der Fall durchaus nicht: ich habe weder meine ganze Gemeine, noch besonders meine Gegner in irgend etwas beleidigt: nur Revolutionswuth habe diesen Sturm über mich erwekt: wenn die nicht zudämmen sey, u. ich ihr Opfer werden müsse, so fühle ich mich gedrungen dem Jkr. Bürgermeister zusagen, daß ihr eigen richterliches Ansehen darunter leiden werde: es werde allgemein heissen: die Regierung habe keine Kraft, einen unschuldigen Pfarrer gegen einige wenige Unmenschen zuschüzen; zudem werden viele meiner Amtsbrüder, wenn ich wirklich weichen müsse, dem gleichen rasenden Sturm ausgesezt, u. dann köne die Regierung zusehen, was sie da zuthun bekommen werde."
Nachdem ich solcher Gestalt mein Herz geleeret, gieng ich so gleich zu Herrn Antistes,1491
Johann Jakob Hess (1741-1828), ord. 1760, dann Vikar seines Onkels Kaspar in Neftenbach, anschliessend ausführliches Bibelstudium, Grundlage seines grossen theologischen Werks, 1777 Diakon am Fraumünster, 1777-1795 Präs. der Asketischen Gesellschaft, 1795 Antistes; HBLS IV, 208f.; ZhPfrB, 334f.; ADB; G. Gessner, Blicke auf Leben und Wesen von J.J. Hess, 1829; F. Ackva, Johann Jakob Hess (1741-1828) und seine Biblische Geschichte, Bern 1992; Nachlass in ZBZ: FA Hess 1741, und StAZ: Amtsnachlass.schliessen
dem ich die Aüßerung des Jkr. Bürgermeisters ganz warm überbrachte; u. dem ich auch erzählte, wie ich dermal mit meiner Gemeine stehe, u. wie ein zahlreiches Auditorium ich über das lezte Pfingstfest gehabt habe. Er nahm das Wort u. sagte: "das seye ja eben der gröste Beweiß, daß die Gemeine mich als ihren Pfarrer anerkenne u. respektire: u. daß nur wenige seyen, die mich von meinem Posten vertreiben wollen, u. diese werden, ob Gott will, auch noch zubändigen seyn: u.s.f." Hr. Antistes sprach mir Muth ein, weiter fest zustehen, u. mich durch nichts zaghaft machen zulaßen. Wirklich gieng ich wohlgetröstet u. gestärkt von Ihm weg.
4.

Bis auf die Zeit meiner Rükreise in Hirzel erhielte die Justiz- u. Polizey-Commission keine Weisung vom Horger Distriktsgericht; sie konnte allso nichts zu meiner mehrern Sicherheit verordnen. Ich verreisste mit meiner Nette Samstag Morgen 5 Uhr in einer Kutsche, die in waidenschwyler Berg fuhr, u. die wir bis auf Poken1492
Bocken ob Horgen, damals Gast- und Kurhaus.schliessen
nuzen konnten: von da giengen wir zu Fuß in Hirzel, u. auf diesem Weg warfen wir uns die Frage auf: "was Erhebliches u. Beruhigendes haben wir den Beßern unsrer Gemeinsgenoßen aus der Stadt zu bringen? Die werden erwarten, daß ich viel werde ausgerichtet haben; der Huber wenigstens einmal auf Zürich werde gehohlt werden: u.s.f." Dies machte uns eigentlich bange, u. wir giengen mit schwerem Herzen dem Hirzel zu; den wir um 9 Uhr erreichten: unsre l[iebe] Tante1493
Elisabeth Gessner (1755-1831), Schweizers Schwägerin, Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, lebte seit der Heirat Schweizers mit Anna Gessner 1785 in deren Haushalt, vgl. Hauschronik 33, 91.schliessen
u. die l[ieben] Kinder trafen wir voll froher Freüde über unsre frühe Ankunft an: u. in ihrer Mitte, u. in unserm Pfarrhaus u. Gut wards uns schon wieder leichter um's Herz.
Wir wurden auch so gleich inne, daß der Huber sich aus der Gemeine wegbegeben, u. sich nun bey der Tanne1494
Weiler östlich von Schönenberg, mit Wirtschaft. Die "Tanne" ist das älteste Wirtshaus in Schönenberg, schon 1523 wird sie erstmals erwähnt; vgl. Peter Ziegler, Schönenberg, Wädenswil 1998, 44. In ihr treffen sich ein paar Monate später die Verschworenen des Bockenkriegs; Graber, Zeit des Teilens, 303.schliessen
im Schönenberg aufhalte.
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