7.7.–22.7.1800
Zurück zum Register
1 Vorkommen in diesem Eintrag
Eintrag drucken
Vom 7 Heüm[onat] bis den 21
Waren unsre Bäbe455
Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
u. die l[iebe] Crite Keller456
Anna Margaretha (Grite) Keller (1763-1820), Tochter von Elisabeth Gessner-Kellers Bruder Pfr. Heinrich Keller; vgl. auch Hauschronik, 67; Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
bey uns. Aus diesem Besuch, auf den hin wir uns schon lange freüten, bemerke ich folgendes ...
a.
Am 11 Heüm[onat] waren wir sämtlich zu Erlenbach, um den th[eüren] kranken Lavater457
Johann Caspar Lavater (1741-1801), Sohn des Johann Heinrich, Arztes, und der Regula Escher vom Glas, verh. 1766 mit Anna Schinz; ord. 1762, 1765 Mitglied der Helvetischen Gesellschaft und Mitarbeiter am Erinnerer, 1769 Diakon, 1775 Pfr. am Oetenbach, 1778 Diakon, 1787 Pfr. an St. Peter. Mit seinen Werken, bes. den Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1783-1787) und den Aussichten in die Ewigkeit (1768/69) wurde er eine europäische Berühmtheit, unterhielt Kontakt mit u.a. Spalding, Herder, Jung-Stilling, Claudius, Goethe; HBLS IV, 636; ZhPfrB, 403; Killy VII, 181-183.schliessen
zubesuchen. Da wir daselbst ankamen, sagte man uns, der theüre Liebe befinde sich sehr schwach, so daß wir befürchteten, daß wir Ihn nur nicht sehen werden: allein, Er erhohlte sich so gut, daß Er aufstehen u. mit uns zu Mittag essen konnte: wo Er zwar nicht viel reden mogte, aber was Er redte, das war eindringend u. belehrend: Er sagte unter anderm: "Man lehre sein Nichts nicht eher kennen, bis man auf den Punkt des Sterbens komme: nicht eher kennen, bis man der grossen Rechenschaft entgegen gehe": u.s.f. Auch bath Er uns – "nicht für sein Leben u. nicht für seinen Tod, sondern ganz allein dafür zubitten, daß er bethen köne; daß ihm die Gebethskraft bleibe." Nach dem Essen begab er sich in sein Kabinet und schriebe: zum Abschied durfte noch jedes einzeln zu Ihm, u. jedem sagte Er noch ein besonderes Wort: mir das –"Er hoffe immer, der l[iebe] Gott schenke ihm noch ein paar Lebensmonate."458
Lavater starb Anfang des folgenden Jahres am 2. Januar 1801.schliessen
u. "Halten sie jede von ihren Predigten für die lezte."
Es war ein voller Unterhaltungstag für uns: wenn wir gleich den weehmüthigen Gedanken haben mußten – den th[eüren] Lavater vielleicht zum letzten Mal gesehen zu haben, so kehrten wir doch voll froher Freüde in Hirzel zurük.
b.
Am 13 kame Frau Nägeli459
Anna Catharina (Cäther) Nägeli, geb. Keller (1764-1818), Schwester von Anna Margaretha (Grite) Keller, verh. mit 1) 1790 Pfr. Caspar Brunner (gest. 1793), 2) 1800 Rudolf Nägeli.schliessen
mit ihrem Mann zu uns, um heüte unsre Feyrstunde460
Unter "Feyrstunde" versteht Schweizer ein ausserhalb der Kirche im kleinen Kreis der Frommen eingenommenes "Privatabendmahl", wie er sie seit Februar 1778 in steigender Intensität mit den Töchtern der Familie Gessner feiert; vgl. im Begleitbuch zur CD das Kap. III, darin: "Gemeinschaft in Christo".schliessen
mit uns zuhalten: das erste Mal, wo Herr Nägeli461
Rudolf Nägeli, Bauer und Seckelmeister aus Kilchberg, heiratete im März 1800 Anna Catharina Brunner, geb. Keller.schliessen
einer Privatkommunion beywohnte. Er schien sehr gerührt zuseyn. Sie gingen auf den Abend wieder nach Hause zurük, u. ließen die l[iebe] Crite noch bey uns.
[23]
c.
Den 21. Verreistag der l[ieben] Bäbe u. Crite. Erstere war schon um 4 Uhr auf, u. war sehr eilend u. pressant. Ich begleitete sie bis auf Käpfen,462
Käpfen, heute Käpfnach bei Horgen.schliessen
wo sie ein Schiff mietheten, u. in dem bis auf Bändlikon fuhren. Da ich wieder nach Hause kam, u. in der Bäbe Kammer gienge, erblikte ich unter dem Tisch eine Briefkopert,463
Briefumschlag.schliessen
ich hobe sie auf, sie war offen; u. war ein Briefgen von der Käther Kramer464
Anna Catharina Cramer (1765-1826), Tochter des Metzgers Caspar Cramer und der Anna Cramer-Jenny (geb. 1737), eine Nachbarin der Keller im Kleinod; verh. 1806 mit Landschreiber Johannes Fries (geb. 1755); vgl. Stammbaum der Familien Wirz, Fries, Heim, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
darin; u. dann ein 3tes Oktavblättgen von einem Brief der l[ieben] Bäbe an die l[iebe] Barbara Bernet465
Anna Barbara Bernet (1759-1818), älteste Tochter des Ratsherrn Caspar Bernet und der Cleophea, geb. Weyermann, heiratete 1809 nach dem Tod von dessen erster Frau (Anna Ehrenzeller, gest. 1806) Kaspar Steinmann; vgl. Stammbaum der Familie Schlatter-Bernet, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
in St. Gallen, aus dem ich folgenden Auszug hieher seze ...
"Ich fand", schreibt die l[iebe] Bäbe, "zu meiner innigen Freüde die l[ieben] /Schweizer/ Kinder recht viel artiger als vor 1¼ Jahren. Die aelteren 2466
Elisabeth (1786-1824) und Anna Schweizer (1787-1837), die beiden ältesten Töchter von Diethelm und Anna Schweizer-Gessner.schliessen
scheinen recht gute, vom Eigensinn beynahe ganz geheilte Geschöpfe zuseyn: sie sind arbeitsam u. folgsam, u. freüen sich der l[ieben] Mamma u. Tante helfen u. leichtern467
erleichtern, leichter machen; Grimm 12, Sp. 641.schliessen
zu könen best ihres Vermögens; sie besorgen unter ihrer Aufsicht Garten u. Küche, u. pflegen der kleinen Kindern: sie werden zu aller haüslichen Arbeit u. Geschäften recht schön angehalten. Das 3te – Regeli,468
Regula Schweizer (1791-1874), dritte Tochter von Diethelm Schweizer u. Anna, geb. Gessner; vgl. Hauschronik 34 u. passim.schliessen
das das eigensinnigste, unbiegsamste, aber verständigste von allen ist, hat mich recht frappiert durch sein viel stilleres, nachgiebigeres Benehmen. So wie dieses Kind ganz eigen gebildet ist, so wird auch seine Führung u. Schiksal seyn. Die 2 kleinsten hingegen sind izt just in dem Zeitpunkt, wo ihrem Eigensinn u. ihrer Laune auch gar so schreklich nachgegeben wird. Es sind gesunde, Kraftvolle, anmuthige, Hofnungsvolle Kinder, aber so unerhört mühsam, und eigensinnig alles erzwingend, daß es viel Geduld braucht, still zuzusehen: wären sie nicht dieser Aeltern Kinder, u. wären mir nicht die 3 aelteren Pfand u. Beweiß – 'der Herr hilft als treuer Erbarmer nach' – ich fürchtete mich, sie verdürben sie gänzlich mit ihrem fast sündlichen Nachgeben. Aber so bin ich ruhig: der Herr wird Aeltern u. Kinder zurük führen, wo sie ausgleiten. Bey allen diesen Kindern ist die Hauptsache gut: sie sind, so hoff ichs mit Zuversicht, vor's Reich der Himmeln gebildet – das Uebrige überlaß ich der Führung des Herrn."
Diese Gedanken der l[ieben] Bäbe über unsre Kinder u. über unsre Auferziehungsmethode fielen mir stark auf. Der Ton, die Worte, die Raisonnements dünkten mich sehr absprechend; am wenigsten konnte ich die Absicht errathen, warum die l[iebe] Bäbe all das auf St. Gallen geschrieben. Ich fühlte mich gedrungen, ihm folgende Zihlen am 22 d[es Monats] darüber zu schreiben ...

"Warum schreibst du, l[iebe] Bäbe! so weitlaüftig, so detaillisirt der l[ieben] A. B. Bernet über uns u. unsre Kinder?
Warum besonders über unsre Erziehungsmethode, die dich zu aergern scheint?
Was hast du bey all dem für eine Absicht?
Was nüzt u. frommet es die l[iebe] Freündin in St. Gallen, das von uns u. unsern Kindern zu wissen?
Willst nicht warten, oder, hättest nicht warten sollen, bis es sich mit unsern jüngsten Kindern näher enthüllt, wie es sich nach deiner eignen Aüsserung mit den aeltern enthüllet hat?
Ueberlasse das mir, diesen unsern Freündinnen über uns u. unsre Kinder zuschreiben.
Ich habe ihnen gewiß noch kein Wort über deine Kinder u. deine Auferziehungsmethode geschrieben.
Wir wollen da einander nicht vorgreiffen, besonders in so leicht mißverstehbaren Sachen.
Wir wollen über unsre Herzen wachen, damit ihre Liebe von keinem dunstigen Nebel verdunkelt werde.
Dies musst ich dir sagen über deine der A. B. Bernet überschriebenen Gedanken von uns u. unsern Kindern.
ich kopierte sie, u. werde dir nicht eben weiters darüber schreiben, aber gelegentlich mündlich mit dir darüber reden."
––

 


Zurück zum Register