5.6.1803
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Sontag den 5.
Ein aüßerst wunderbarer Tag! ich will die Geschichte davon so kurz wie möglich hier beysezen.
1.
Morgens gleich nach 6 Uhr rüfte der Siegrist1449
Schäppi; im 18. und 19. Jh. übten die Schäppi während Generationen das Sigristenamt aus; sie wohnten im nördlichen Teil des Flarzhauses unmittelbar bei der Kirche.schliessen
unserm Knecht – er soll doch geschwind in die Kirche kommen: er gieng, u. siehe, da sie die Kanzel besichtigten, lag in der ein grosser Wallheischen-Haufen,1450
Mundartl. für: Waldameisenhaufen.schliessen
der, weil diese Tiere noch nicht stark aus einander gelauffen, nach der Meinung meines Knechtes noch nicht lange hieher geleget worden sey. Ich gienge selbst hin, die Sache zubesehen: der Haufen ward aber schon in einen Sak aufgefaßt, u. ich sahe nur noch hie u. da Wallheischen um her kriechen, die nun aber ganz weggesaübert wurden.
Eine fürchterliche Büberey, die aber stark genug zeiget, daß es noch böse Menschen in der Gemeine habe, die bey allen Warnungen darauf bestehen, daß ich hier nicht mehr Pfarrer sein müße; u. um dies durchzusezen, alles möglich schandbare ersinnen u. erfüllen, um mich u. meine Kanzel zu profaniren,1451
Von lat. profanare: entweihen.schliessen
u. mich damit zuermüden. Diese Frevelthat ist gewiß aus ergrimter Boßheit entstanden darüber, daß ich vor 8 Tagen am H[eiligen] Pfingstfest so viele Zuhörer hatte, wie beynahe noch über kein Fest. Da, machen sich diejenigen, die vor 8 Tagen in andere Kirchen gegangen, u. in andern Kirchen das Abendmahl genoßen haben, nicht sehr verdächtig? Alle Guten erschraken gar sehr über diese verruchte That, u. ich musste abermal mit schwerem Herzen auf die Kanzel: dennoch stärkte mich mein Gott, u. ließ es mir gelingen, sein Wort mit Ruhe zuverkündigen.
2.

Da wir aus der Kirche kamen, stand in unsrer Stube unsrer l[iebe] Jaque1452
Jakob Gessner d.Ä. (1759-1823), Schweizers Schwager, Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1803 mit Anna Schulthess; Offizier in holländischen Diensten bis 1795, Oberrichter in Zürich, 1803 Stadtrat, 1805 Statthalter des Bezirks Zürich; Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
mit seiner Braut:1453
Anna Schulthess aus dem "Schönenhof" (geb. 1775), Tochter der Bäbe Schulthess-Wolf, verh. 18.10.1803 mit Jakob (Jaque) Gessner.schliessen
sie kamen in einer Kutsche, u. konnten ankommen, ohne daß wir in der Kirche etwas davon merkten. Das war nun eine grosmächtige Freüde für uns: das l[iebe] Nannli thäte so gleich mit uns als unser Eins; u. der l[iebe] Jaque trieft gleichsam vor Freüde über sein Glük, an dem alles, was ihn immer kennt, den herzlichsten Anteil nihmt; was dann das l[iebe] Nannli schier nicht begreiffen kan, daß es einen Menschen so glüklich machen kan. Wir überliessen uns nun dem vollsten Freündschaftsgenuß, u. allen Freüden, die unser Gott uns bereitete an diesem Tag, wo wir das l[iebe] Nannli Schultheß das erste Mal als Schwester bey uns hatten.
3.
Es ward beschlossen, daß die l[iebe] Mamma1454
Anna Schweizer, geb. Gessner (1757-1836), Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, verh. 1785 mit Diethelm Schweizer; vgl. Hauschronik, 30, 32-34, 91, 139f.schliessen
mit diesen unsern Geschwistern in die Stadt fahren sollte: da hatte ich aber so viel zuthun u. Bescheid zugeben, daß wir nicht viel mehr mit einander reden, ja selbst unsre Feyrstunde1455
Unter "Feyrstunde" versteht Schweizer ein ausserhalb der Kirche im kleinen Kreis der Frommen eingenommenes "Privatabendmahl", wie er sie seit Februar 1778 in steigender Intensität mit den Töchtern der Familie Gessner feiert; vgl. im Begleitbuch zur CD das Kap. III, darin: "Gemeinschaft in Christo".schliessen
nicht mehr miteinander u. mit unsern Geschwistern halten konnten: dies drükte meine Nette sehr, u. es1456
Mundartl. Neutrum für das Femininum: sie.schliessen
schied weehmütig von mir u. der l[ieben] Tante:1457
Elisabeth Gessner (1755-1831), Schweizers Schwägerin, Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, lebte seit der Heirat Schweizers mit Anna Gessner 1785 in deren Haushalt, vgl. Hauschronik 33, 91.schliessen
um 4 Uhr fuhren sie ab: Mamma nahm das l[iebe] Bäbeli1458
Anna Margaretha Barbara, die spätere Meta Heusser-Schweizer (1797-1876), Dichterin und Mutter Johanna Spyris, in ihrer Kindheit Bäbeli genannt; vgl. Hauschronik; Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer.schliessen
mit sich, das eine l[iebe] Gespielin am Louisli Gesner1459
Louise (geb. 1798), Tochter von Hans Georg Gessner und Anna, geb. Lavater.schliessen
hatte, das das l[iebe] Brautpaar mit sich brachte.
4.
Nun musste ich mich hinsezen zum schreiben: erst schrieb ich an die Justiz u. Polizey Commission1460
Der Brief hat sich in einer von Schweizer selbst verfertigten Abschrift im Nachlass erhalten; FA Schweizer/Heusser D III 7.schliessen
des heütigen Vorfalls halben: u. dann schrieb ich noch ein paar Zeilen an die l[iebe] Mamma, weil sich uns auf Morgen genug Bötte1461
(Post-)Boten.schliessen
in die Stadt darbotten: Hauser1462
Hans Heinrich Hauser, Präsident des neuen Gemeinderats von 1803.schliessen
u. Hürlimann1463
Hans Caspar Hürlimann, Stillstandspräsident 1800-1802, ab 1803 Gemeinderat und Friedensrichter.schliessen
gehen um der begegneten Sache willen; u. der lange Strikler um eines Wupps1464
Einer Rolle fertig gewobenen Stoffs. Schon im 18. Jh. war die Textilheimindustrie im Hirzel ein wichtiger Wirtschaftsfaktor; von ihrem Gang hingen Wachstum und Rückgang der Gemeinde ab; vgl. Jürg Winkler, Der Hirzel, 114ff.schliessen
willen, deßen Frau diesen Abend auch noch zu uns kame. [Dok. 28]
5.
Endlich, da wir izt allein waren, sezte ich mich mit unsrer Sette u. unsern beyden Töchtern1465
Elisabeth (1786-1824) und Anna Schweizer (1787-1837).schliessen
hin, u. hielte noch mit ihnen unsre sontägliche Feyrstunde: der Herr ließe sie uns in Stille halten, u. war uns nahe im H[eiligen] Brodt, das wir mit einander assen, u. im H[eiligen] Wein, den wir mit einander tranken: wir betheten Ihn an unsern gekreüzigten Menschengott, u. legten dringende Fürbitten in sein Herz für meine Nette u. für unsre Lieben alle.
6.

Da ich Nachts allein in meinem Bethe lag, sann ich unsrer bisherigen Geschichte nach von leztem Martini1466
11. November: Der Martinstag bildete den Abschluss des landwirtschaftlichen Pachtjahres und war daher Tag des Erntedanks, Zinstermin und Markttag.schliessen
bis auf heüte: ich erblikte da eine ununterbrochene Reihe von Kränkungen, Drohungen, Beleidigungen und Verfolgungen: u. das machte mich weehmüthig: erblikte aber auch eine ununterbrochene Reihe von mächtiger Hilfe, Rettung u. Beschüzung von unserm Gott; u. das machte meinem Herzen wieder wohl, u. ich bethete zu meinem Gott: "Herr! laß meine Feinde nicht siegen! es wäre so fürchterlich für alles! Herr! errette mich bald von meinen Feinden u. Wiedersächern, wie Du Deinen David oft oft von seinen Feinden und Wiedersächern errettet hast! Ach, es ist auch ein Goliath wieder mich aufgestanden, der Deiner Ordnung u. Deines Dieners schmähet! u.s.f." Mit diesen Gedanken schlief ich nun ein.
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