5.6.–9.6.1799
Ewig unvergessliche Tage ...
Tage der fürchterlichsten Angst, daß unsre theüre Vaterstadt in einen Steinhaufen verwandelt werde.
Tage der gnädigsten Errettung u. Verschonung. Schon am 1 dies[es Monats] brachen die Kaiserlichen, die in die Schweiz eingebrochen u. mächtige u. siegende Fortschritte machten, in die ennert Seegegenden ein u. rükten vor bis auf Herrliberg. Dies verursachte in unsrer Gegend die fürchterlichsten Gerüchte: z. B. daß 4000 Schweizer217
Am 2ten dies[es Monats] Abends gienge das Feüren wieder an; u. man sahe die kaiserliche Armee über den ganzen Zürichberg von der Forch an bis auf Hottingen vorrüken u. über den ganzen Berg herabrollen.
Am 3ten dauerte das Canonen u. Musketenfeüer den ganzen Tag hindurch u. schien immer näher der Stadt zukommen. Ach, wie wirds der ergehen, fragten wir uns oft weehmüthig – blieben aber dennoch voll Hofnung, daß es ihr gewiß erträglich gehen werde .. bald bald wird der Sturm vorbey seyn, [12] und die den Herrn kennen, werden seine helfende Rechte erhöhen u. preisen.
Am 6ten vernahmen wir, daß der lieben Stadt geschont u. sie an die Kaiserlichen übergegangen seye. Welche Vorfreüde fühlte da unser Herz.
Die Franken rettirirten sich218
Endlich am 8ten erhielten wir Briefe aus der Stadt von unsern Lieben. Ich will der l[ieben] Bäbe219
Tage der fürchterlichsten Angst, daß unsre theüre Vaterstadt in einen Steinhaufen verwandelt werde.
Tage der gnädigsten Errettung u. Verschonung. Schon am 1 dies[es Monats] brachen die Kaiserlichen, die in die Schweiz eingebrochen u. mächtige u. siegende Fortschritte machten, in die ennert Seegegenden ein u. rükten vor bis auf Herrliberg. Dies verursachte in unsrer Gegend die fürchterlichsten Gerüchte: z. B. daß 4000 Schweizer217
Schwyzer.schliessen
im Anzug seyen, uns zuüberfallen – was unsrer ganzen Gemeine fürchterliche Angst einjagte; wir aber blieben im Vertrauen auf unsern uns stüzenden Gott ruhig. Am 2ten dies[es Monats] Abends gienge das Feüren wieder an; u. man sahe die kaiserliche Armee über den ganzen Zürichberg von der Forch an bis auf Hottingen vorrüken u. über den ganzen Berg herabrollen.
Am 3ten dauerte das Canonen u. Musketenfeüer den ganzen Tag hindurch u. schien immer näher der Stadt zukommen. Ach, wie wirds der ergehen, fragten wir uns oft weehmüthig – blieben aber dennoch voll Hofnung, daß es ihr gewiß erträglich gehen werde .. bald bald wird der Sturm vorbey seyn, [12] und die den Herrn kennen, werden seine helfende Rechte erhöhen u. preisen.
Am 6ten vernahmen wir, daß der lieben Stadt geschont u. sie an die Kaiserlichen übergegangen seye. Welche Vorfreüde fühlte da unser Herz.
Die Franken rettirirten sich218
Von frz. se retirer: zogen sich zurück.schliessen
von der Stadt weg gegen die Baader- u. die hiessige Seegegend. Wirklich kamen auch 1000 Grenadier in meine Gemeine, die sehr spukten, als wenn sie alles rein ausplündern wollten; allein, es ward ihnen nicht gegeben; Speis u. Trank musste man ihnen reichen; in der Nacht v. 7 bis 8 zogen die meisten ab in das benachbarte Zugergebiet; nur eine Wache liessen sie an der Sihlbrüke zurük. Endlich am 8ten erhielten wir Briefe aus der Stadt von unsern Lieben. Ich will der l[ieben] Bäbe219
Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
sein220Mundartl. Neutrum für das Femininum: ihr.schliessen
Briefgen hier beysezen ... "Es waren", schreibt die Theüre, "heisse Tage der Angst, des Schrekens u. des Mitleidens, vom Samstag Mittag, /den 1 dies[es Monats]/ da wir die erste Canonade zwischen Dübendorf und Wangen hörten, bis gestern Morgen, /den 6/ da man uns rufte: 'Die Franzosen haben kapitulirt!'
O ihr Herzen, erwartet keine Beschreibung von unsrer Lage über diese Tage – die lässt sich nicht beschreiben; u. dazu bin ich von Schreken, von Angst u. Mitleiden, von Freüde u. Dank zu sehr mitgenohmen u. erschöpft.
Genug – wir sind u. leben noch bey allen u. allem, was innert den Mauren unsrer lieben beschüzten, geretteten, von Gott wie einen Augapfel bewahrten Vaterstadt ist u. lebt. Angebethet, ewig nicht genug anzubethen seye die erbarmende Schohnung u. Hilfe unsers treüen ewig sich selbst gleichen alten Bibelgottes.
Ja – Er ist, Er lebt noch – der alte Gott der Bibel! Er hört u. hilft noch den Seinen u. Sein Bedürfenden, wie Er vor 4 u. 5000 Jahren, wie Er in Menschengestalt vor 1700 Jahren half. Wir haben einen Gott, der hilft, u. einen Herrn,221
O wir sind unwürdig all der Erbarmung, Gnade, Schohnung u. Erfahrung, die uns der Herr zu Theil werden liesse!
O es mag sich erleiden, in solch ein heisses Dunkel der Angst u. Gefahr, des Mitleidens u. Schreckens geführt zuwerden, um so die Treüe u. Wahrheit Gottes zuerfahren!
Die Gefahr u. Angst, die Noth u. Leiden für die Einwohner nächst um unsre Stadt u. für unsre Stadt stieg bis Dienstag Abend aufs Höchste: den folgenden Tag durfte man nicht erwarten: u. siehe, eben da auf diesem Punkte hieß es vom Himmel herab: 'Genug nun! da ist ein Zihl gestekt, das nicht überschritten werden kan!'
Ein Heer feüeriger Rosse u. Wagen mit flammenden Schwertern stand gelagert um unsre Stadt her, wie einst in Samaria.222
Die lezte Canonenkugel, die geschoßen ward, traf unser Haus – den Fensterpfeiler in unsrer obern Stube nächst am Büreau, u. prallte von da in die Straaß, u. ließ eine tiefe Narbe zurük, die uns heiliges Denkmahl der Bewahrung Gottes seyn u. bleiben soll." u.s.f.
O ihr Herzen, erwartet keine Beschreibung von unsrer Lage über diese Tage – die lässt sich nicht beschreiben; u. dazu bin ich von Schreken, von Angst u. Mitleiden, von Freüde u. Dank zu sehr mitgenohmen u. erschöpft.
Genug – wir sind u. leben noch bey allen u. allem, was innert den Mauren unsrer lieben beschüzten, geretteten, von Gott wie einen Augapfel bewahrten Vaterstadt ist u. lebt. Angebethet, ewig nicht genug anzubethen seye die erbarmende Schohnung u. Hilfe unsers treüen ewig sich selbst gleichen alten Bibelgottes.
Ja – Er ist, Er lebt noch – der alte Gott der Bibel! Er hört u. hilft noch den Seinen u. Sein Bedürfenden, wie Er vor 4 u. 5000 Jahren, wie Er in Menschengestalt vor 1700 Jahren half. Wir haben einen Gott, der hilft, u. einen Herrn,221
Im Tagebuch: Herrn Herrn.schliessen
der von dem Tod errettet! das glauben wir nicht nur, das wissen wir, das erfuhren wir!! O wir sind unwürdig all der Erbarmung, Gnade, Schohnung u. Erfahrung, die uns der Herr zu Theil werden liesse!
O es mag sich erleiden, in solch ein heisses Dunkel der Angst u. Gefahr, des Mitleidens u. Schreckens geführt zuwerden, um so die Treüe u. Wahrheit Gottes zuerfahren!
Die Gefahr u. Angst, die Noth u. Leiden für die Einwohner nächst um unsre Stadt u. für unsre Stadt stieg bis Dienstag Abend aufs Höchste: den folgenden Tag durfte man nicht erwarten: u. siehe, eben da auf diesem Punkte hieß es vom Himmel herab: 'Genug nun! da ist ein Zihl gestekt, das nicht überschritten werden kan!'
Ein Heer feüeriger Rosse u. Wagen mit flammenden Schwertern stand gelagert um unsre Stadt her, wie einst in Samaria.222
Bezieht sich evt. auf 2. Kön. 6,14ff. schliessen
Kein Feind u. kein Krieger durfte ihr schaden; kein Haar wurde gekrümt, kein Faden verlezt in unsrer Stadt! Von den Franzosen musste es heissen: 'Dieser Stadt soll nichts wiederfahren!' u. von den Kaiserlichen hiess es: 'Dieser Stadt wollen wir schohnen!' u. beyde hielten ihr Wort, denn der Herr wollte es so! O bethet an mit uns u. danket mit uns! So hilft nur Gott! So erlöst nur Er! So viel hätte niemand erwarten dürfen! Die lezte Canonenkugel, die geschoßen ward, traf unser Haus – den Fensterpfeiler in unsrer obern Stube nächst am Büreau, u. prallte von da in die Straaß, u. ließ eine tiefe Narbe zurük, die uns heiliges Denkmahl der Bewahrung Gottes seyn u. bleiben soll." u.s.f.
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