3.5.1803
Ich schrieb diesen Morgen an meine Lieben im Hirzel zum voraus die Geschichte des gestrigen Tages: so dann kamen 3 Männer von da zu mir u. brachten mir dies Briefgen von meiner Nette1272
Ich fragte sie nun, warum sie eigentlich hier seyen? Dafür, erwiederten sie – sie möchten sich bey Jkr. Bürgermeister Escher1278
Nun kleidete ich mich an, u. gienge zu der kranken Tante1280
Erst späthe zwischen 6-7 Uhr kam noch Hägi zu mir, u. relatirte1291
[65] Nun gieng ich noch ein halb Stündgen zu der kranken Tante hinauf, u. erzählte ihr von allem, was heüte vorgefallen: besonders auch von dem Brief von den Kirchhofern; wo sie mich dann dringend bathe, auszuhalten u. festzustehen, u. ja nicht zuweichen: es werde gewiß beßer kommen: u.s.f.
Noch muß ich von diesem Tage das bemerken, daß der l[iebe] Jaque Gesner1294
Anna Schweizer, geb. Gessner (1757-1836), Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, verh. 1785 mit Diethelm Schweizer; vgl. Hauschronik, 30, 32-34, 91, 139f.schliessen
... "Ich werde wol, du mein Herz! nicht erst auf ein Wort von dir warten könen, ehe ich dir eins schreibe.
Es gienge uns bis izt /Montag/ Abends 5 Uhr recht gut. Die gestrige /Sontags/ Nacht war für uns ganz still u. ruhig, die Wächter sehr freündlich u. artig, bis wir schlafen giengen. wie es aber sonst die Nacht durch gegangen, wird dir der l[iebe] Hägi1273
wir haben izt alle Hände voll zuthun, bey dem schönen Wetter, u. thun alles mit leichtem frohem Herzen in der getrosten Hofnung, unser gute Gott wolle unserm Vaterland izt noch eine Zeit der Ruhe u. des Friedens geben, Truz allen Anschlägen der Hölle, die immer von den elenden Sündern dagegen gemacht werden.
Im Gebeth wollen wir uns oft treffen, das uns beßer behagt in Freüd u. Leid, als das tägliche Brod.
Ich fragte die 3 Männer /es waren 2 Hägi1274Es gienge uns bis izt /Montag/ Abends 5 Uhr recht gut. Die gestrige /Sontags/ Nacht war für uns ganz still u. ruhig, die Wächter sehr freündlich u. artig, bis wir schlafen giengen. wie es aber sonst die Nacht durch gegangen, wird dir der l[iebe] Hägi1273
Hans Rudolf Hägi, sein Vater Hans Rudolf (1723-1817) galt als "Musterbauer"; vgl. Neujahrsblatt 1808 der Zürcherischen Hilfsgesellschaft.schliessen
sagen. Es ist abscheülich, wie die Rotte allem truzt, alles schmäht u. beschimpft, was Ordnung ist u. heisst. Wollte Gott, sie würden auch einmal aufgedekt, besonders um der Besten in der Gemeine willen, die sie immer suchen unglüklich zumachen: denn die infame Unflätterey mit der Proklamation haben sie nicht nur aus Truz u. Spott gegen die Regierung gethan, sondern auch um dem Hägi, der Commandant war, einen Streich zuspielen. Wenn wird auch des höllischen Unfugs genug seyn! wir haben izt alle Hände voll zuthun, bey dem schönen Wetter, u. thun alles mit leichtem frohem Herzen in der getrosten Hofnung, unser gute Gott wolle unserm Vaterland izt noch eine Zeit der Ruhe u. des Friedens geben, Truz allen Anschlägen der Hölle, die immer von den elenden Sündern dagegen gemacht werden.
Im Gebeth wollen wir uns oft treffen, das uns beßer behagt in Freüd u. Leid, als das tägliche Brod.
Deine Nette."
Es ist unklar, um wen es sich bei dem zweiten Hägi handelte.schliessen
u. der Strikler im Obern Forrenmoos/1275Hofgruppe nördlich von Hirzel-Kirche in Richtung Widenbach mit einem Flarzhaus "Strikler", das seinen Namen von seinen Bewohnern hat.schliessen
was es mit der Proklamation gegeben? /es war die erste von unsrer neüen Landesregierung, die ich am letzten Sontag verlesen u. über die ich auch predigen musste1276Die neue Regierung wurde vom 18.-21. April 1803 in mehreren Wahlgängen gewählt; von den 25 Mitgliedern des Kleinen Rates waren 15 Bürger der Stadt, 20 gehörten der Partei der Aristokraten an, nur 5 waren Demokraten; Brunner, Der Kanton Zürich in der Mediationszeit, 30-37.schliessen
/ Hägi sagte: "da er ab der Wache gegangen, habe er sie mit Menschenkoth beschmiert gesehen, u. sie so gleich abgerissen, damit sie von Niemand weiter gesehen werde", u.s.f. so dann erzählte er mir noch ander Unordentliches, das in der Nacht vorgefallen: z. B. 2 ab seiner Wache seyen um 11 Uhr zum Pfeifer Hanß1277"Winkelwirt" Hans Huber auf der Vorderen Höchi.schliessen
gegangen, um da zutrinken; u. da haben sie 3 andre spielend angetroffen: u.s.f. Ich fragte sie nun, warum sie eigentlich hier seyen? Dafür, erwiederten sie – sie möchten sich bey Jkr. Bürgermeister Escher1278
Johann Conrad Escher vom Luchs (1761-1833), Sohn des Johann Heinrich, Ratsherrn, und der Dorothea Ott, verh. 1785 mit Anna von Muralt, Tochter des Conrad. 1782 Zürcher Sanitätsschreiber, 1783 Ratssubstitut, 1785 Oberratssubstitut und Legations-Sekretär, 1787 Unterschreiber, 1794 Stadtschreiber, 1798-1802 Mitglied der Verwaltungskammer des Kt. Zürich (1801-1802 Präs.), 1799 Mitglied des Grossen Rats der Helvetik, dann Mitglied der Notabelnversammlung zur Beratung der neuen Helvetischen Verfassung, 1803-1814 Bürgermeister des Standes Zürich, 1805, 1811, 1817 und 1820 Tagsatzungsgesandter; HBLS III, 75; HLS III, 301.schliessen
Raths erhohlen, "wie es zu machen seye, daß, wenn je wieder frz. Truppen in Hirzel gesandt werden sollten, die immer gut u. still gebliebenen damit verschohnt werden, in dem die Bösen gerade auf sie hin etwas anstellen könten, damit sie mit ihnen gestraft werden? Und, ob nicht Strafmittel vorhanden seyen, die allein auf die Bösen angewandt werden könen?" Nun ja, sagte ich, das sollen sie nur fragen: ich wünsche ihnen gute Audienz: u. damit entließ ich sie für einmal: sezte mich hin u. schrieb an meine Lieben mit wenigem dieses ... "Da ich, ihr Theüren! eüer Briefgen gelesen, dankte ich freylich unserm Gott für eüre Erhaltung u. Ruhe: aber ich ward weehmütig über den frechen Truz, den meine Gemeine nun auch gegen die neue Regierung zeiget. Wohin wirds mit dieser meiner Gemeine noch kommen? sie zeigt doch immer klärer, was für ein Aufruhrgeist sie beseele. Jaque1279
Jakob Gessner d.Ä. (1759-1823), Schweizers Schwager, Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1803 mit Anna Schulthess; Offizier in holländischen Diensten bis 1795, Oberrichter in Zürich, 1803 Stadtrat, 1805 Statthalter des Bezirks Zürich; Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
u. ich glauben, die besudelte Proklamation müsse dem Jkr. Bürgermstr. gezeigt werden: Hägi verbarmt mich zwar, daß dies u. anders, das er mir sagte, unter seiner Wache u. Commando geschehen: es wird halt nichts gehalten u. nichts in der Ordnung gethan. was wird noch gebraucht werden müßen, um diese Gemeine zubeügen?" u.s.w.Nun kleidete ich mich an, u. gienge zu der kranken Tante1280
Anna Barbara Keller (1736-1810), jüngste Tochter von Hans Balthasar Keller u. Regula, geb. Landolt, Schwester von Elisabeth Gessner-Keller; vgl. C. Keller-Escher, Genealogie der Familie Keller vom Steinbock von Zürich, Bd. 1 u. 2 (ZBZ, Ms Z II 613 u. 613a).schliessen
hinauf, die herzlichen Antheil an allem guten u. bösen nahm, das ich ihr aus dem Hirzel erzählte. Darauf gieng ich mit Jaque ins Pfarrhaus1281Pfarrhaus der Gemeinde Fraumünster, Waaggasse 1/3, Amtswohnung von Hans Georg Gessner.schliessen
zum Mittageßen, das wir in Freüde u. Frohheit genoßen: die l[iebe] Nette1282Anna Gessner-Lavater (1771-1852), Tochter von Johann Caspar Lavater u. Anna, geb. Schinz, verh. 1795 mit Hans Georg Gessner.schliessen
war wirklich recht munter, u. hatte guten Appetit zum Eßen, denn sie badete gerade vorher. Nach zwei Uhr begab ich mich mit unsrer Sette1283Elisabeth Gessner (1755-1831), Schweizers Schwägerin, Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller; lebte seit der Heirat Schweizers mit Anna Gessner 1785 in deren Haushalt, vgl. Hauschronik 33, 91.schliessen
auf den Graben.1284Haus der Familie Gessner am oberen Hirschengraben; dort wohnten Hans Caspar Gessner und Bäbe, geb. Hess mit ihren Kindern; nach deren Tod bezog es die mit Johann Wichelhausen verheiratete Tochter Elisabeth Wichelhausen, geb. Gessner; nach deren Hinschied ging das Haus in den Besitz von Johann Bernhard Spyri und Johanna, geb. Heusser über.schliessen
Unter anderm, das da vorfiel, lase mir die l[iebe] Bäbe1285Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
aus einem Brief von den l[ieben] Kirchhofern1286Melchior Kirchhofer (1736-1837) und Susanna, geb. Habicht (1735-1810) und deren Söhne und Töchter; zum Schaffhauserkreis Hauschronik 66, 169; Memorabilien der Zeit.schliessen
zu Schaafhausen, "daß diese Lieben sehr dringend wünschen, daß ich die Pfarrei Lauffen annehmen möchte: die Leüte dieser Gemeine seyen gut; u. sie wollten dieselben, weil sie sehr viele Bekannte daselbst haben, für mich gewiß stimmen könen: u.s.f." Dies u. dann das, daß die l[iebe] Bäbe dies mit Absicht u. Preßement,1287Nachdruck, besonderer Betonung.schliessen
vorlase, um mir zuzeigen, daß wir auf solche Stimmen doch auch achten sollten, u. anders, das es1288Mundartl. Neutrum für das Femininum: sie.schliessen
mir über diesen Punkt sagte, machte mich nachdenkend, ja beynahe inquiet:1289Von lat. inquietus: unruhig.schliessen
ich konte mich nicht mehr erhohlen, bis ich wieder allein war: ich hatte keine Ruhe mehr auf dem Graben u. gieng allso gerade nach 5 Uhr zum Kleinod,1290Haus am Rennweg 10, das über Generationen im Besitz der Familie Keller vom Steinbock war. Zu jener Zeit wohnte die "Jungfer Tante" Anna Barbara Keller (1735-1810) dort, zusammen mit Dorothea und Jakob (Jaque d.Ä.) Gessner, den zwei Kindern ihrer verstorbenen Schwester Elisabeth Gessner-Keller.schliessen
wo ich eine Stunde allein in der untern Stube seyn u. der Sache ernster nachdenken konte. Und ich kam wieder zur Ruhe u. auf den Punkt, auf den wir immer kommen, wenn von einer Abaenderung die Rede wird: nemlich, es kan izt in diesem Punkte nicht seyn. Erst späthe zwischen 6-7 Uhr kam noch Hägi zu mir, u. relatirte1291
Von frz. relater: berichtete.schliessen
mir von ihren Verrichtungen: sie haben Jkr. Bgrmstr. Escher erst diesen Nachmittag nach 2 Uhr nur auf dem Rathhaus gesehen: u. der habe ihnen kurzen Bescheid gegeben; u. da habe man ihnen gerathen, noch den Jkr. Brgmstr. Rheinhard,1292Hans Reinhard (1755-1835), nannte sich von Reinhard; bekleidete schon im Ancien Régime viele Staatsämter; war während der Helvetik Führer der Zürcher Aristokratenpartei und kam immer dann in Zürich wieder an die Macht, wenn das Pendel nach rechts ausschlug; Zürcher Delegierter an der Konsulta, Mitglied der 10er und der 7er Kommission, Gross- und Kleinrat, ab 1803 mehrere Male Bürgermeister, Landammann der Schweiz 1807 u. 1813; HBLS V, 578.schliessen
aufzusuchen: u. den haben sie bey Jkr. Unterschrbr.1293Möglicherweise ein Muralt, von dem viele Dokumente aus der Staatskanzlei unterschrieben sind.schliessen
allso gerade beym rechten Mann gefunden, der dem Jkr. Brgrmstr. ihre Sache beßer habe vortragen könen, als sie: u. er habe ihnen alle Hilfe u. Beystand zugesichert: u.s.f. Kurz, Hägi war nun guten Muths, u. schied mit erheitertem Gemüthe von mir. [65] Nun gieng ich noch ein halb Stündgen zu der kranken Tante hinauf, u. erzählte ihr von allem, was heüte vorgefallen: besonders auch von dem Brief von den Kirchhofern; wo sie mich dann dringend bathe, auszuhalten u. festzustehen, u. ja nicht zuweichen: es werde gewiß beßer kommen: u.s.f.
Noch muß ich von diesem Tage das bemerken, daß der l[iebe] Jaque Gesner1294
Jakob Gessner d.J. (1782-1806), dritter Sohn von Hans Caspar Gessner und Bäbe, geb. Hess; ord. 1804, Vikar in Horgen, 1805 Katechet in Oberstrass, verfiel in Melancholie und hungerte sich zu Tode; ZhPfrB, 296.schliessen
ab'm Graben, den ich gestern nicht sahe, weil er zu Bändlikon1295Bei den Schwestern Anna Margaretha (Grite) Keller (1763-1820) und Anna Catharina (Cäther) Nägeli, geb. Keller (1764-1818).schliessen
war, heüt morgen mich allhier beym Kleinod besuchte: der Liebe scheint noch sehr vollblutig u. zugleich voll Zweifel zuseyn, ob er mit seinem erwählten geistlichen Stand reüciren1296Von frz. réussir: Erfolg haben.schliessen
werde: es brauche, sagte er, soviel Scharfsinn, die Zweifel, die heüt zu Tag gegen das Christenthum gemacht werden, zuheben: u. dieser Scharfsinn mangle ihm: auch habe er noch nicht genug Muth u. Standhaftigkeit, bey der erkannten Wahrheit fest zustehen: u.s.f. alles Aüßerungen eines Erzmelancholikers, dem der junge Herr D. Lavater1297Vermutlich Heinrich Lavater (1768-1819), Sohn des Johann Caspar Lavater und der Anna, geb. Schinz, Bezirksarzt und Arzt am Zuchthaus in Zürich; HBLS IV, 636.schliessen
nun folgende Kur zubrauchen vorgeschrieben hat: Auf das Ende des kommenden Brachm[onats]1298Juni.schliessen
müsse er erst auf Gaiss1299Gais, im Kanton Appenzell Innerrhoden.schliessen
u. da 3 Wochen die Schottenkur1300Molkenkur. Im Jahr 1749 fand in Gais ein brustkranker (wahrscheinlich tuberkulöser) Patient aus dem Kanton Zürich, der von den Ärzten als hoffnungslos aufgegeben worden war, mit einer Kur mit Alpenziegenmolke in kurzer Zeit vollständige Heilung. Damit begann die Geschichte des Kurortes, der bald einen grossen Aufschwung und eine weit über die Grenzen des Kantons und der Schweiz hinaus reichende Berühmtheit erlangte. Ulrich Hegner berichtet in seinem Roman "Die Molkenkur" (1812) in satirischer Form von der zur Mode gewordenen Molkenkur in Gais.schliessen
brauchen, so dann auf St. Morizen, u. da 3 Wochen lang das Wasser trinken. ––
