2.6.1803
Unsre l[iebe] Bäbe1430
Gottlob auch für diesen Bericht! Dankend für alles Frohe u. Erfreüende, das wir heüt erhielten, warfen wir uns vor unserm Gott auf die Kniee, u. empfahlen bey unserm Nachtgebeth uns und alle unsre Lieben seiner weitern Huld u. Gnade u. Liebe!
Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
erzählte uns in seinem1431Mundartl. Neutrum für das Femininum: ihrem.schliessen
gestrigen Brief, daß unser l[iebe] Jaque beym Kleinod1432Jakob Gessner d.Ä. (1759-1823), Schweizers Schwager, wohnte nach seiner Rückkehr vom Solddienst bis zu seiner Verheiratung zusammen mit seiner ältesten Schwester Dorothea (1749-1830) und der alten Tante Anna Barbara Keller im "Kleinod" in Zürich am Zeltweg 10.schliessen
verlobt seye mit dem l[ieben] Nandli Schulthess:1433Anna Schulthess aus dem "Schönenhof" (geb. 1775), Tochter der Bäbe Schulthess-Wolf, verh. 18.10.1803 mit Jakob (Jaque) Gessner.schliessen
nun erhielten wir heüte von ihm selbst folgenden herzlichen Brief ... "Theüre Liebe!
Eine Nachricht eüch mitzutheilen, wie die ist, die ich heüte zugeben habe, dabey wende ich mich am liebsten an dich, theüre liebe Nette!1434
gefunden hab ich, wornach mein Herz schon so lange sich sehnte, eine von Gott mir geschaffene Gefährdtin meines Lebens; gefunden diesen Schaz, ohne den es dem Menschen nicht gut ist, in der
Doch, ich muß dir nun auch den Gang dieser Geschichte, von der kein Mensch, als mein Georg1435
Es wird nun bald 2 Jahre seyn, daß die Lieben im Schönenhof bey eüch waren, u. auch ich: damals entstand der Gedanke an eine Verbindung mit meiner Lieben in mir, den ich aber ganz in mein Herz verschloss bis gegen das Neüjahr, wo ich ihn meinem Georg entdekte, u. es wagte, denselben auch meiner Theüren schriftlich zusagen. Allein damals war der Zeitpunkt, der meine Wünsche erfüllen sollte, noch nicht gekommen; u. in einer herzlichen Unterredung sagte mir die Theüre, 'daß sie zwar keine Abneigung gegen mich fühle, aber sich izt unmöglich entschließen könnte, sich zuverheürathen: sie bath mich aber keiner Seele ein Wort zusagen.' Nun verstrichen wieder mehr als anderthalb Jahre, ohne daß ich mit einer Seele davon redete, aber tief war der Gedanke eingewurzelt – 'entweder Nannli oder in meinem Leben unverheürathet.' Nun glaubte ich den Zeitpunkt zusehen, um wieder einmal mein Herz der theüren Lieben zuöfnen u. um das ihrige zubitten, das dann am lezten Donnerstag auf einem einsamen Spaziergang von Hirslanden geschah; u. Dank meinem Gott – des Harrens war genug! Die Theüre wollte nur erst mit Mamma reden: u. lezten Sontag Abend ganz ungesucht u. unerwartet hatte ich wieder den Anlass, allein mit meiner Lieben von Hirslanden heim zugehen – 'wo dann dies unaussprechlich theüre Herz sich auf ewig mit dem meinigen verband, u. der freye Himmel u. der, der in demselben thront, Zeüge unsrer Verbindung war.' Die theüre mütterliche Mamma nahm mich mit einer Liebe auf, die mich beschämt, u. deren ich wünschte werth zuseyn.
Und so, meine Theüre! ist denn eüer Jaque wirklich verlobt, u. fühlt sich in der frohen Hofnung glüklich, in einer christlichen Freündin eine Lebensgefährdtin gefunden zuhaben, mit der er Freüden und Leiden theilen kan, fühlt sich glüklich, mit einem Band der Liebe umschlungen zuseyn, das ewig ist wie der Himmel, u. das erst dann in seiner ganzen Liebenswürdigkeit straalt, wenn der Leib in Staub u. Asche zerfallen seyn wird.
Aber freylich, m[eine] L[ieben]! ist auf dieser Erde kein Genuß, der nicht erkauft werden muß, keiner, dem nicht auch eine Entbehrung folge: u. so gehts auch hier in Rüksicht meiner bisherigen Lage. Die gute th[eüre] Tante1437
Am Dienstag Abend gieng ich mit der treüen Mamma u. meiner Innigsten nach Hirslanden, wo wir alle Lieben ab dem Graben antrafen. wie wir uns wechselseitig umarmten, das könt ihr eüch vorstellen, so wie, daß wir eüch in unsre Mitte dachten. Oh daß ich eüch gleich meine Innigste hätte in die Arme führen könen! es soll aber gewiß so bald wie möglich geschehen.
Und nun, Liebe! kein Wort weiter. Eürer theilnehmenden Liebe u. eürer segnenden Fürbitte sind gewiß
Dienstag Nachts
Den 31 May."
Lange haben wir keine frohere Nachricht von unsern Lieben erhalten, wie diese Nachricht von der Verlobung unsers Jaquens mit dem l[ieben] Nannli Schulthess: wir dankten unserm Gott mit Freüdenthränen, daß Er unsern l[ieben] Jaque finden liesse, was er schon lange gesucht, u. wir schon lange an ihm bemerkt haben. Freylich kam uns diese Nachricht izt unvermuthet; aber einmal erwarteten wir sie doch, weil wirs wie für gewiß nahmen, daß das l[iebe] Nannli noch unserm Jaque werden müsse. Wir glauben zuversichtlich, sie werden gute glükliche zufriedene Eheleüte werden: unser Gott hat mit dieser Verbindung uns neü gezeiget, daß Er den, der in Ihm suchet, in Ihm finden lasse! wir bethen mit diesen unsern Geschwistern seine Liebe an! Die l[iebe] Bäbe aufm Graben legte dem Jaque Brief folgende uns sehr wichtige Zeilen bey ... Eine Nachricht eüch mitzutheilen, wie die ist, die ich heüte zugeben habe, dabey wende ich mich am liebsten an dich, theüre liebe Nette!1434
Anna Schweizer, geb. Gessner, die Frau Diethelms, ist eine Schwester von Jakob (Jaque) Gessner.schliessen
Eüer Jaque ist ehlich versprochen –
gefunden hab ich, wornach mein Herz schon so lange sich sehnte, eine von Gott mir geschaffene Gefährdtin meines Lebens; gefunden diesen Schaz, ohne den es dem Menschen nicht gut ist, in der
theüren ewig lieben Nannette Schultheß
im Schönenhof.
Ach, ich kans beynahe nicht glauben, daß mir dieses Glük soll zu Theil werden; u. meine ganze Seele ist Dank gegen meinen mich immer so treü führenden Gott: u. ich weiss, auch du, auch ihr alle blikt dankend zu Ihm empor, u. erflehet seinen Segen über eüern Jaque u. seine Nannette. Ich glaubte Eüch zubeleidigen, wenn ich meine Theüerste erst noch in eüre Liebe empfehlen wollte: ihr kennt Ihr Herz, das dem eüern schon lange nahe war. Doch, ich muß dir nun auch den Gang dieser Geschichte, von der kein Mensch, als mein Georg1435
Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
u. Nette1436Georgs Frau Anna Gessner-Lavater (1771-1852), Tochter von Johann Caspar Lavater u. Anna, geb. Schinz.schliessen
wußte, erzählen. Es wird nun bald 2 Jahre seyn, daß die Lieben im Schönenhof bey eüch waren, u. auch ich: damals entstand der Gedanke an eine Verbindung mit meiner Lieben in mir, den ich aber ganz in mein Herz verschloss bis gegen das Neüjahr, wo ich ihn meinem Georg entdekte, u. es wagte, denselben auch meiner Theüren schriftlich zusagen. Allein damals war der Zeitpunkt, der meine Wünsche erfüllen sollte, noch nicht gekommen; u. in einer herzlichen Unterredung sagte mir die Theüre, 'daß sie zwar keine Abneigung gegen mich fühle, aber sich izt unmöglich entschließen könnte, sich zuverheürathen: sie bath mich aber keiner Seele ein Wort zusagen.' Nun verstrichen wieder mehr als anderthalb Jahre, ohne daß ich mit einer Seele davon redete, aber tief war der Gedanke eingewurzelt – 'entweder Nannli oder in meinem Leben unverheürathet.' Nun glaubte ich den Zeitpunkt zusehen, um wieder einmal mein Herz der theüren Lieben zuöfnen u. um das ihrige zubitten, das dann am lezten Donnerstag auf einem einsamen Spaziergang von Hirslanden geschah; u. Dank meinem Gott – des Harrens war genug! Die Theüre wollte nur erst mit Mamma reden: u. lezten Sontag Abend ganz ungesucht u. unerwartet hatte ich wieder den Anlass, allein mit meiner Lieben von Hirslanden heim zugehen – 'wo dann dies unaussprechlich theüre Herz sich auf ewig mit dem meinigen verband, u. der freye Himmel u. der, der in demselben thront, Zeüge unsrer Verbindung war.' Die theüre mütterliche Mamma nahm mich mit einer Liebe auf, die mich beschämt, u. deren ich wünschte werth zuseyn.
Und so, meine Theüre! ist denn eüer Jaque wirklich verlobt, u. fühlt sich in der frohen Hofnung glüklich, in einer christlichen Freündin eine Lebensgefährdtin gefunden zuhaben, mit der er Freüden und Leiden theilen kan, fühlt sich glüklich, mit einem Band der Liebe umschlungen zuseyn, das ewig ist wie der Himmel, u. das erst dann in seiner ganzen Liebenswürdigkeit straalt, wenn der Leib in Staub u. Asche zerfallen seyn wird.
Aber freylich, m[eine] L[ieben]! ist auf dieser Erde kein Genuß, der nicht erkauft werden muß, keiner, dem nicht auch eine Entbehrung folge: u. so gehts auch hier in Rüksicht meiner bisherigen Lage. Die gute th[eüre] Tante1437
Anna Barbara Keller (1736-1810), jüngste Tochter von Hans Balthasar Keller u. Regula, geb. Landolt, Schwester von Elisabeth Gessner-Keller; vgl. C. Keller-Escher, Genealogie der Familie Keller vom Steinbock von Zürich, Bd. 1 u. 2 (ZBZ, Ms Z II 613 u. 613a).schliessen
u. Döde1438Dorothea Gessner (1749-1830), Tochter von Pfr. Caspar Gessner u. Elisabeth, geb. Keller, ältere Schwester von Schweizers Gattin Anna, blieb nach dem Auszug ihres Bruders Jakob (Jaque) Gessner als einzige Gessner-Tochter bis zum Tod der Anna Barbara Keller 1810 im "Kleinod" zurück; vgl. Hauschronik, 33, 59, 91.schliessen
freüen sich zwar nach ihrem guten liebenden Herzen meines Glükes u. gönen mirs von Herzen: aber damit ist dann eine Trennung verbunden, die uns allen schmerzlich weeh thut. Die drey lezten Jahre werden uns allen unvergesslich seyn u. bleiben. Doch, ich schweige davon, ihr fühlt dies gewiss wohl selbst. Am Dienstag Abend gieng ich mit der treüen Mamma u. meiner Innigsten nach Hirslanden, wo wir alle Lieben ab dem Graben antrafen. wie wir uns wechselseitig umarmten, das könt ihr eüch vorstellen, so wie, daß wir eüch in unsre Mitte dachten. Oh daß ich eüch gleich meine Innigste hätte in die Arme führen könen! es soll aber gewiß so bald wie möglich geschehen.
Und nun, Liebe! kein Wort weiter. Eürer theilnehmenden Liebe u. eürer segnenden Fürbitte sind gewiß
Eüer Jaque mit seiner Nannette
Dienstag Nachts
Den 31 May."
"Der gestrige Abend, /Dienstag/ wo ganz ungesucht unabgeredt u. unerwartet wir alle in Hirslanden traffen, ist ein von Gott geschenkter Abend, eine Zusammenkunft, die Er – der treüste Einiger der Menschenherzen selbst bereitete: da wurde das l[iebe] Nannli mir – uns allen hier tief ins Herz gegraben. Ich stehe nun auf einem Standpunkt, von dem aus ich diese Sache als des Herrn Weg u. Werk ansehe u. verehre; u. wo es mir schön einleüchtet: ich bin allso nicht nur ruhig, sondern froh, dankbar freüdig; u. glaube u. weiß – unser l[iebe] Jaque hat, was er suchte u. bedarf, an seinem vom Herrn ihm geschenkten zugeführten – aufgesparten Nannli. Oh wäret ihr alle auch bey uns gewesen gestern, ich hätts eüch gönen mögen: im Geiste dachten wir uns bey eüch. Der Herr seye eüer – ihr sein!
Dies ists, was wir heüt Morgen von unsern Lieben zu unsrer Erfreüung erhielten: u. nun heüt Abend erhielten wir auch frohen Bericht des Handels wegen, um deßwillen ich heüt unsern Knecht eigens in die Stadt geschikt habe: der kam etwa um 7 Uhr zurük, und brachte mir folgende Zeilen von dem l[ieben] Jaque ... ewig die Eüere."
"Dein Briefgen kame mir heüt auf dem Rathhaus zu: ich zeigte es so gleich Herrn Rathsh. Rahn:1439
Salomon Rahn (1766-1836), Sohn des Hans Heinrich (1734-1796); 1794-1798 Landschreiber der Grafschaft Baden, 1803-1836 Mitglied des Grossen Rats, 1803-1831 des Kleinen Rats. Rahn war Vorsteher der Justiz- und Polizeikommission; HBLS V, 521.schliessen
der sagte: Die ... könen doch nichts verstehen, oder wollens nicht: es ist keine Rede von Verantwortung weder persönlich noch durch Anwald: er wolle es indeß so gleich der Justiz- u. Polizey-Commission anzeigen, die dann das Nähere verfügen werde: die Commission war eben besammelt, u. Hr. Rahn sagte mir: es sey bereits der Befehl gegeben, daß das Distriktgericht dem erhaltenen Auftrag gemäß handeln, u. nur den Huber1440Jakob Huber im Feld, der Anführer von Schweizers Gegnern; vgl. Hauschronik, 43f., 51f.schliessen
über seine Schmähschrift verhören soll.1441Dieser Beschluss ist enthalten in einem Brief der Polizeikommission vom 2. Juni 1803, der in Kopie auch an Schweizer ging; FA Schweizer/Heusser, D III, 6a (Original) u. b (Abschrift Schweizers).schliessen
Hr. Pfarrer habe sich da gar nicht zuverantworten. Die Sache ist allso wieder im rechten Gleise, u. du wieder mit dem Schreken abgekommen!"Gottlob auch für diesen Bericht! Dankend für alles Frohe u. Erfreüende, das wir heüt erhielten, warfen wir uns vor unserm Gott auf die Kniee, u. empfahlen bey unserm Nachtgebeth uns und alle unsre Lieben seiner weitern Huld u. Gnade u. Liebe!
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