2.5.1803
wie stehets wol im Hirzel? wie ists da meinen Lieben ergangen? war meine erste Frage bey meinem heütigen Erwachen: u. Gottlob ich konnte froh denken, daß ihnen nichts begegnet sey. Es plangte mich1252
Nun giengs an's ausgehen ...
Zuerst ins Pfarrhaus Fraumünster,1254
Von da verfügte ich mich ins Antistitium1258
Zum Mittageßen gieng ich auf den Graben:1260
1. Beym ersten Anblik ihrer Stubenmagd dachte ich – die taugt nicht hieher: die ist zu vornehm: warum hier auch eine Stubenmagd u. eine solche?
2. Hr. Doktor Payer1262
3. Es ward über das Eßen auch viel über unsre Geschichte geredet, aber nur ins allgemeine, wies in der Wohnstube allhier nicht anders seyn kan.
Nun nach 2 Uhr zu Jkr. Bürgermstr. Escher:1264
Von da nun wieder ins Pfarrhaus: nach dem Theetrinken gieng ich mit Georg nach Hottingen; bald folgten uns dahin nach Fr. Hptm. Schultheß1265
Mundartl. für: Ich sehnte mich.schliessen
nun auf Hauser,1253Wahrscheinlich Hans Heinrich Hauser, wird 1803 Präsident des neuen Gemeinderats.schliessen
der mir sagte, daß er heüte in die Stadt kommen werde. Er kam etwas vor 10 Uhr, u. berichtete mich, daß es gut stehe im Hirzel: daß er mir keinen Brief von meinen Lieben brachte, war mir ein Beweiß, daß ihnen nichts Uebels begegnet sey. Ich gabe dem Hauser ein Briefgen an sie mit. Nun giengs an's ausgehen ...
Zuerst ins Pfarrhaus Fraumünster,1254
Pfarrhaus der Gemeinde Fraumünster, Waaggasse 1/3, Amtswohnung von Hans Georg Gessner.schliessen
wo ich nun unsern Georg,1255Hans Georg Gessner (1765-1843), Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, Schwager von Diethelm Schweizer, verh. mit 1) 1791 Bäbe Schulthess, 2) 1795 Anna Lavater; ord. 1787, dann Vikar seines Vaters in Dübendorf, 1791 Diakon und 1794 Pfr. am Oetenbach und Diakon am Fraumünster, 1799 Pfr. am Fraumünster, 1828 Pfr. am Grossmünster und Antistes; ZhPfrB, 295; HBLS III, 500; Georg Finsler, Georg Gessner, 1862.schliessen
den ich gestern Abend, da ich daselbst vorbey gieng, u. unser Settli1256Schweizers Tochter Elisabeth Schweizer (1786-1824), die am 24. April als Haushaltshilfe ins Pfarrhaus Fraumünster geschickt worden war.schliessen
u. die l[iebe] Nette,1257Anna Gessner-Lavater (1771-1852), Tochter von Johann Caspar Lavater u. Anna, geb. Schinz, verh. 1795 mit Hans Georg Gessner.schliessen
grüsste, nicht sah, nun antraf, aber auch izt nicht viel mit ihm reden konnte, weil Unterweisungskinder kamen. Von da verfügte ich mich ins Antistitium1258
Amtssitz des Zürcher Kirchenoberhaupts am Zwingliplatz 4, damals Chorherrenplatz.schliessen
wo ich von Herrn Antistes1259Johann Jakob Hess (1741-1828), ord. 1760, dann Vikar seines Onkels Kaspar in Neftenbach, anschliessend ausführliches Bibelstudium, Grundlage seines grossen theologischen Werks, 1777 Diakon am Fraumünster, 1777-1795 Präs. der Asketischen Gesellschaft, 1795 Antistes; HBLS IV, 208f.; ZhPfrB, 334f.; ADB; G. Gessner, Blicke auf Leben und Wesen von J.J. Hess, 1829; F. Ackva, Johann Jakob Hess (1741-1828) und seine Biblische Geschichte, Bern 1992; Nachlass in ZBZ: FA Hess 1741, und StAZ: Amtsnachlass.schliessen
sehr rührend empfangen ward – "Kommen sie, rief er mir entgegen, herin von Gott Geretteter, u. allso von Gott Gesegneter!" "Ja, das bin ich wahrhaftig!" erwiederte ich mit froher Stimme: u. damit ward eine ernste Unterredung angebahnet, die wir nun mit einander hatten: ich erzählte ihm alle neüen Vorfälle in meiner Gemeine u. alles, was dabey von uns u. von der Regierung gethan worden; zeigte ihm die bey Handen habenden Schriften, u. versprach ihm, von allen ihm eine Kopie einzuhändigen: herzlich freüte er sich über alles, besonders über unser standhaftes Aushalten: ich liesse mich mit ihm über alles ein, besonders über unsre Gründe für unser einstiges noch hier bleiben, die ihm nun klar einleüchteten, u. die er respektirte. Es war ein liebes Stündgen, das wir mit einander hatten. Zum Mittageßen gieng ich auf den Graben:1260
Haus der Familie Gessner am oberen Hirschengraben; dort wohnten Hans Caspar Gessner und Bäbe, geb. Hess mit ihren Kindern; nach deren Tod bezog es die mit Johann Wichelhausen verheiratete Tochter Elisabeth Wichelhausen, geb. Gessner; nach deren Hinschied ging das Haus in den Besitz von Johann Bernhard Spyri und Johanna, geb. Heusser über.schliessen
Herzlich ward ich da von unsern Lieben bewillkommet. Die l[iebe] Bäbe1261Bäbe Gessner, geb. Hess (1754-1826), Tochter von Hans Conrad Hess, Amtmann am Oetenbach, und Anna Barbara, geb. von Orelli, verh. 1779 mit Hans Caspar Gessner; vgl. Stammbäume Gessner-Keller und Hess-von Orelli, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
scheint nun wieder wohl zuseyn. Ich mache folgende Bemerkungen – 1. Beym ersten Anblik ihrer Stubenmagd dachte ich – die taugt nicht hieher: die ist zu vornehm: warum hier auch eine Stubenmagd u. eine solche?
2. Hr. Doktor Payer1262
Die Person konnte nicht identifiziert werden.schliessen
von Mühlhausen kam gerade nach 11 Uhr: Bäbe erschrak um des Mittageßens willen, das aber nicht angenohmen ward: eine leibhafte jüdische Physionomie, ganz ähnlich dem Jud Fränkel,1263Der Medizinstudent B.E. (später Johann Caspar) Fränkel aus Fürth hatte 1769 zusammen mit dem Talmudschüler C.B. Sachs aus Breslau in Berlin Lavaters unter dem Titel Philosophische Untersuchung der Beweise für das Christentum publizierte Übersetzung von Bonnets Palingénésie Philosophique gelesen. Die beiden Juden waren darauf zum Bibelstudium zu Lavater nach Zürich gekommen und wurden am 12. März 1771 von Diakon Johannes Tobler in der Zürcher Fraumünsterkirche getauft, nachdem sie am 7. März vor der "hochlöblichen Proselytenkammer, durch den gelehrten Herrn Decan" Johannes Schmutz (1700-1778) geprüft und von Fraumünsterpfarrer Johann Caspar Pfenninger (1712-1775) nach ihrem Glaubensbekenntnis befragt worden waren. Lavater, dem in der älteren Literatur die Taufe zugeschrieben wird, hatte die Taufrede nach Apg 2,22-39 verfasst; Gisela Luginbühl Weber, Johann Kaspar Lavater, Charles Bonnet, Jakob Benelle, Briefe 1768-1790, II, 513-515.schliessen
der in den 70 Jahren zu Zürich sich taufen liesse: sonst ein sehr ehrliches gerades Gesicht, u. ein spekulatifer Kopf. 3. Es ward über das Eßen auch viel über unsre Geschichte geredet, aber nur ins allgemeine, wies in der Wohnstube allhier nicht anders seyn kan.
Nun nach 2 Uhr zu Jkr. Bürgermstr. Escher:1264
Johann Conrad Escher vom Luchs (1761-1833), Sohn des Johann Heinrich, Ratsherrn, und der Dorothea Ott, verh. 1785 mit Anna von Muralt, Tochter des Conrad. 1782 Zürcher Sanitätsschreiber, 1783 Ratssubstitut, 1785 Oberratssubstitut und Legations-Sekretär, 1787 Unterschreiber, 1794 Stadtschreiber, 1798-1802 Mitglied der Verwaltungskammer des Kt. Zürich (1801-1802 Präs.), 1799 Mitglied des Grossen Rats der Helvetik, dann Mitglied der Notabelnversammlung zur Beratung der neuen Helvetischen Verfassung, 1803-1814 Bürgermeister des Standes Zürich, 1805, 1811, 1817 und 1820 Tagsatzungsgesandter; HBLS III, 75; HLS III, 301.schliessen
der empfienge mich gar freündlich, u. freüte sich, mich zusehen: er sagte, daß ich hier sey, dünke ihn ein gutes Omen, daß es ruhig u. still in meiner Gemeine sey: u.s.f. Nachdem ich ihm für alle bisherigen Verfügungen, die er zu meiner u. andrer ehrlichen Leüten Sicherheit getroffen, gedanket hatte, versicherte er mich, daß er gewiß alle seine richterliche Gewalt anwenden werde, um alles in Ordnung zubringen; ich solle nur standhaft ausharren: u. wenn die Sache einmal beendigt sey, so wünsche er mir doch eine ruhigere u. beßere Gemeine u.s.f. Von da nun wieder ins Pfarrhaus: nach dem Theetrinken gieng ich mit Georg nach Hottingen; bald folgten uns dahin nach Fr. Hptm. Schultheß1265
Barbara (Bäbe) Schulthess, geb. Wolf (1743-1818), Freundin Goethes und Mittelpunkt des schöngeistigen Zürichs, Mutter von Georg Gessners erster Frau, Patin von Schweizers jüngstem Kind Dorothea; HBLS VI, 255.schliessen
u. ihr Nandli,1266Anna Schulthess aus dem "Schönenhof", geb. 1775, Tochter der Bäbe Schulthess-Wolf, verh. 18.10.1803 mit Jakob (Jaque) Gessner.schliessen
unsre Sette1267Elisabeth Schweizer (1786-1824), älteste Tochter von Diethelm Schweizer und Anna, geb. Gessner, verh. 1822 mit Johannes Suter; vgl. Hauschronik, 34, 85-88.schliessen
u. 4 Kinder1268Vermutlich die ersten vier Kinder Georg Gessners: aus der ersten Ehe (mit Anna Barbara, geb. Schulthess) Barbara Elisabeth (geb. 1792), aus der zweiten Ehe (mit Anna, geb. Lavater) Anna Julie Auguste (geb. 1796), Louise (geb. 1798), Johann Caspar Georg (geb. 1801); ein fünftes Kind ist die zum damaligen Zeitpunkt kaum einjährige Marie (geb. 1802).schliessen
aus dem Pfarrhaus, die die warme Gaismilch trinken mussten: nachher kam auch noch der l[iebe] Jaque1269Jakob Gessner d.Ä. (1759-1823), Schweizers Schwager, Sohn von Pfr. Caspar Gessner und der Elisabeth, geb. Keller, verh. 1803 mit Anna Schulthess; Offizier in holländischen Diensten bis 1795, Oberrichter in Zürich, 1803 Stadtrat, 1805 Statthalter des Bezirks Zürich; Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
vom Kleinod1270Haus am Rennweg 10, das über Generationen im Besitz der Familie Keller vom Steinbock war. Zu jener Zeit wohnten Anna Barbara Keller, Jakob (Jaque d.Ä.) und Dorothea (Döde) Gessner dort.schliessen
– eine recht liebe Gesellschaft, von der ich mich aber um halb 7 Uhr entfernte u. heim zum Kleinod gienge, wo ich noch ein Stündgen bey der l[ieben] Jgfr. Tante1271Anna Barbara Keller (1736-1810), jüngste Tochter von Hans Balthasar Keller u. Regula, geb. Landolt, Schwester von Elisabeth Gessner-Keller; vgl. C. Keller-Escher, Genealogie der Familie Keller vom Steinbock von Zürich, Bd. 1 u. 2 (ZBZ, Ms Z II 613 u. 613a).schliessen
war, die izt ziemlich munter zuseyn schien, u. mehr reden mochte als gestern Abend. 