1.7.–31.7.1799
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Heümonat.
Einige wichtige Vorfälle.
1. Den 8 wagte ichs dem l[ieben] Lavater einen Besuch zumachen zu Knonau.230
Nach seiner Entlassung aus der Deportation war Lavater am 11. Juni aus Basel abgereist, kam aber infolge der Kriegshandlungen nicht durch die französischen Linien; so ging er vorübergehend nach Knonau, wo ein Neffe von ihm wohnte. Erst am 16.8. langte er nach einem Umweg über Basel wieder in Zürich an; Freymüthige Briefe von Johann Kaspar Lavater über das Deportationswesen und seine eigene Deportation nach Basel; Aloys von Orelli, Die Deportation zürcherischer Regierungsmitglieder nach Basel im Jahre 1799. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1880, 247-312.schliessen
Ich erhielte dazu die Erlaubniß vom franz. Commandanten an der Brüke, nahme den Urner231
Hans Jakob Urner, Wirt auf der "Krone" in Sihlbrugg.schliessen
mit mir u. wir kamen glüklich um 12 Uhr nach Knonau. Da ich in Lavaters Zimmer im Amthaus tratte, wie schaute er auf, daß ich vor Ihm stand: "Um Gottes Willen, wo komen sie auch durch an diesen Ort!" Kurz erzählte ichs ihm, u. eröffnete Ihm, daß ich Hofnung habe, Ihn u. die beyden andern Herren, alt Sekelmstr. Hirzel232
Hans Caspar Hirzel zum Reh (1746-1827), Sohn des Alt-Schultheissen Hans Jakob (1710-1783), 1768 Landschreiber zu Männedorf, im selben Jahr Zollschreiber, 1770 Schreiber des Stadtgerichts, 1775 Zwölfer, 1778 Landvogt zu Baden, 1781 Mitglied des Rats, 1785 Obervogt zu Horgen, 1793 Mitglied des Geheimen Rats, 1794 Seckelmeister, 1798 Mitglied der provisorischen Regierung, 1799 zusammen mit seinem Sohn nach Basel deportiert, 1801 helvetischer Senator, 1802 Mitglied der Munizipalität Zürich und Präsident der Interimsregierung 1802; HBLS IV, 234; Aloys von Orelli, Die Deportation zürcherischer Regierungsmitglieder nach Basel im Jahre 1799. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1880, 252.schliessen
u. alt Rathsherr Pestaluz233
Johann Jakob Pestalozzi (1749-1831), Politiker, Gelehrter und Kaufmann, 1788 Ratsherr, 1793 zürcherischer Repräsentant in Basel während der Grenzbesetzung und 1796 im Thurgau bei General Moreau, während des Stäfner Handels in Horgen, 1798 eidg, Abgeordneter auf dem Rastatter Kongress, 1799 nach Basel deportiert, nachher Präs. der Stadtverwaltung, 1802 Mitglied der prov. Regierung des Kts. Zürich, während der Mediation, Präs. der kant. Verwaltungskommission, Mitglied des Kleinen Rats, 1814 Staatsrat; HBLS 5, 404; Aloys von Orelli, Die Deportation zürcherischer Regierungsmitglieder nach Basel im Jahre 1799. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1880, 252; Nachlass in ZBZ.schliessen
zu mir in Hirzel hinüber zubringen: Er müsste nach dem Rath des Commandanten an der Brüke an den General der Vorposten zu Meinzigen234
Menzingen im Kanton Zug.schliessen
schreiben u. den mit wenigem versuchen, daß er Ihm u. den beyden Herren erlauben möchte, einen Besuch im Hirzel beym dortigen Pfarrer als ihrem Freund zumachen. Auch dies ergriff der th[eüre] Lavater mit voller Freüde. So dann überreichte ich ihm ein Päkgen Brief an Ihn u. die beyden andern Herrn, die sie gleichsam mit heisser Begierde verschlangen, denn bey vielen Wochen hatten sie kein vertrautes Wort von den l[ieben] Ihrigen erhalten. Es ginge nun an ein schreiben, damit ich wieder Briefe mit mir zurük zunehmen habe. Nach dem Mittagessen kamen die beyden andern Herrn auch ins Amthaus: Innig u. herzlich bewillkommten sie mich, u. konnten mir ihre Freüde, mich zusehen, nicht genug zeigen. Wir blieben nun so noch eine Stunde bey einander, u. ich musste wieder an den Rükweg denken. Wir schieden sämtlich innig u. herzlich von einander; u. ich zoge nun mit meinem Begleiter voll der besten Gefühlen u. Empfinden, gen der Sihlbrüke zu: um 5 Uhr erreichten wir die, u. wir begaben uns zum Commandanten; ich überreichte ihm die Briefe von Lavater, die er las, bey Seite legte u. uns entliesse. Noch ahndeten wir nicht das mindeste Böse; wir giengen über die Brüke, u. fanden Urners Haus voll Franzosen u. einige meiner Gemeinsgenossen; ich saümte mich da nicht mehr lange, sondern eilte nach Haus, wo ich meine Lieben alle wohl antrafe, die voll Freüden wurden, da ich ihnen erzählte, wie gut mir mein Besuch gelungen seye.
Einige Tage harreten wir nun auf Bericht vom General von Meinzigen; u. es kame nichts. Nach u. nach entstand das Gerücht in der Gemeine, ich seye gerade am Montag noch von einigen meiner Gemeinsgenossen beym Commandant verrathen worden, so daß, wenn ich nur eine halbe Stunde später an die Brüke gekommen, er mich nicht mehr hinüber gelassen hätte. Ich harrete auf Urner; der kam nun eines Tages, u. bestätigte dies Gerücht ganz: der Commandant habe keinen Fuß mehr in sein Haus gesezt, kein Wort mehr mit ihm geredet, ihm allso auch wegen Lavater keine Antwort ertheilt. Dies kränkte nun mich u. meine Lieben gar sehr, besonders, da diese Verrätherey u. ungerechte Anschwärzung von meinen eignen Gemeinsgenoßen herkame. Man kennet sie aber, u. sie werden den Lohn ihrer ungerechten Thaten gewiß noch bekommen. Nun ist uns alle Hofnung abgeschnitten, den th[eüren] Lavater bey uns zu sehen: auch können wir ihm u. den andern Herrn keine Briefe von den Ihrigen u. diesen von ihnen mehr einhändigen. Alles ist verriglet. Ach Gott! öfne – öfne du wieder! –
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2. Den 9 hatte meine l[iebe] Mutter235
Anna Margaretha Schweizer, geb. Schulz (1716-1799), verh. 1738 mit Ulrich Schweizer, Stadtknecht; Memorabilien der Zeit; Hauschronik, 27f., 31ff., 36ff., Stammbaum Schweizer im Begleitbuch zur CD.schliessen
einen starken Zufall,236
Schlaganfall.schliessen
der ihr die Rede hemmte, u. sie in einen stets fortdaurenden Schlaf versezte: nach ein paar Tagen erhohlte sie sich wieder; fieng nach u. nach an reden u. fragte dies u. das, so daß wir die Hofnung hatten, daß sie wieder aufkomme. Aber
den 13 ward sie von einem neüen weit stärkeren Zufall befallen, der ihre ganze rechte Seite lähmte u. ihr auch wieder die Spraache nahme. Sie ligt nun beynahe Empfindungslos im Bethe; erwacht sie etwa aus dem Schlumer, so ist sie sehr unruhig u. strebt immer aus dem Bethe heraus. Herr Doktor Hüni,237
Wahrscheinlich Wundarzt Johannes Hüni (1773-1843) aus Horgen; Brändli, Die Retter der leidenden Menschheit, 355, 420.schliessen
der den 14 bey ihr war, glaubt nicht, daß sie sich mehr erhohle. Nun, der Herr mache, was Ihm gefällt. Sollten wir der Lieben nicht gerne die ewige Ruhe im himmlischen Vaterland gönnen, besonders da ihre Wallenszeit auf Erde die höchst menschenmögliche gewesen!
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[13] 3. Den 19. Heüt Morgen um 3 Uhr sagte mir meine Nette, es238
Hier und im Folgenden mundartl. Neutrum für das Femininum; hier: sie.schliessen
glaube seine Gebährensstunde nahe: wir standen auf und flehten unter den Zurüstungen, die wir machten, zu unserm Gott, daß Er die Theüre Liebe stärke u. sie leicht u. bald gebähren lasse. Und der Gnädige achtete auf unser Gebeth. Die Liebe hatte bis gegen 8 Uhr verschiedene Weeh, die es kraftvoll anlegen konnte, u. um 8 Uhr ward das theüre Kind vermittelst eines dringenden Hauptweehes geboren. Es ist wieder ein Töchtergen,239
Dorothea Schweizer (1799-1822), jüngste Tochter von Diethelm Schweizer und Anna, geb. Gessner; vgl. Hauschronik, 38f., 83ff.schliessen
das unser Gott uns schenkte – ein innig anmuthiges wohlgebildetes munters Kindgen: mit welcher Freüde blickte die th[eüre] Mamma auf ihns240
Mundartl. für: es.schliessen
– u. ich auf beyde so wohl durchgeführte241
Durch die Gefahr geführte.schliessen
mit welchem Dank, mit welcher Anbethung gegen Gott!
O Herr! Herr! so hast Du uns den 6ten Menschen gegeben mitten in den gegenwärtigen Kriegszeitlaüfen! wir loben Deinen Nammen, u. bitten Dich – Laß uns dies neüe Kind Dir weyhen u. heiligen, u. für Dein Reich auferziehen!
Die theüre Mamma ward dann bald zu Bethe gebracht, wo sie wohl ruhte von ihrer Geburtsarbeit: ich hohlte inzwischen die andern lieben Kinder, die mit Jubel u. Freüde um ihr neües Schwestergen herum sprangen.
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4. Nachts um halb 11 Uhr ward ich gewekt – zum Sterbebeth meiner l[ieben] Mutter:242
Anna Margaretha Schweizer, geb. Schulz (1716-1799), Diethelm Schweizers Mutter, verschied am 19. Juni im Alter von 83 Jahren.schliessen
ich begabe mich dahin, u. wirklich arbeitete sie sich heraus aus ihrer Leibeshülle: ich bethete – u. bethete, bis sie nicht mehr athmete: um 11 Uhr verschiede sie sanft, u. heitere dankende Ruhe verbreitete sich so gleich über ihre Lippen u. Stirn.
Gott! wie wunderbar – so hast Du uns an ein- u. eben demselben Tage Leben u. Tod für unsre Augen gebracht; an ein u. eben demselben Tag uns einen theüren Menschen gegeben u. einen lieben Menschen genohmen! Dein Name seye gelobet; u. die theüre Aufgelöste bleibe bey uns in liebendem Andenken!
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5. Den 23. Begräbnißtag meiner theüren Mutter. Der l[iebe] Pfarrer Wirz.243
Hans Heinrich Wirz (1756-1834), Sohn von Hans Konrad Wirz (1726-1794), Pfr. in Kilchberg; verh. mit Anna Füssli, Tochter von Obmann Füssli, ord. 1776; Weiterstudium in Halle 1777-1778, Vikar in Kilchberg (Vertretung des kranken Vaters), 1794-1834 Pfr. in Kilchberg. 1795 Schlichtungsversuch im Stäfner Handel; Freundschaft mit Lavater und enge Beziehung zu Pfr. Schweizer während dessen Hirzler Zeit; Literaturvermittlungstätigkeit; Memorabilien der Zeit; Hauschronik, 60f.; Wernle III, 310ff.; ZhPfrB, 623.schliessen
ab Kilchberg hielt ihr einen brave Leichenrede über den Text, den die l[iebe] Verstorbene sich selbst wählte: Hiob XIX,25-27244
Hiob 19,25-27: "Ich aber weiss, mein Anwalt lebt und ein Vertreter ersteht [mir] über dem Staube. Selbst wenn die Haut an mir zerschlagen ist, mein Fleisch geschwunden, werde ich Gott schauen, ja, ich werde ihn schauen mir zum Heil, und meine Augen werden ihn sehen, nicht als Feind. Meine Nieren verzehren sich in meinem Innern."schliessen
Sie ist nun gesäet dem Tage der Garben, die in seine Scheune zu sammeln der Herr bald kommen wird.245
Evt. Anspielung auf Hiob 5,26: "In voller Reife steigst du zu Grabe, wie die Garbe einkommt zu ihrer Zeit." Evt. auch nach Mat. 3,12 oder Luk. 3,17: "Er hat die Wurfschaufel in seiner Hand, um seine Tenne zu fegen und den Weizen in seine Scheune zu sammeln; die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen."schliessen

6. Den 23 – Zugleich Tauftag unsers th[eüren] Neügebornen. Herr Pfarrer Wirz im Nammen Herrn Pfarrer Lavaters u. Frau Pfarrer Brunner,246
Anna Catharina (Cäther) Brunner, geb. Keller (1764-1818), Tochter von Pfr. Hans Heinrich Keller (1719-1771), Cousine von Anna Schweizer-Gessner, verh. mit 1) 1790 Pfr. Caspar Brunner (gest. 1793), 2) 1800 Rudolf Nägeli; Stammbaum Gessner-Keller, in: Regine Schindler, Die Memorabilien der Meta Heusser-Schweizer, Beilage.schliessen
die mit dem l[ieben] Wirz zu uns kame, im Nammen der l[iebe] Frau Schultheß247
Barbara (Bäbe) Schulthess, geb. Wolf (1743-1818), Freundin Goethes und Mittelpunkt des schöngeistigen Zürichs, Mutter von Georg Gessners erster Frau, Patin von Schweizers jüngstem Kind Dorothea; HBLS VI, 255.schliessen
im Schönhof, erschienen mit mir vor dem Taufaltar u. vereinigten ihre Gebethe mit den Meinigen. Ich gabe dem theüren Kind den Nammen –
Dorothea,

u. taufte ihns248
Mundartl. für: es.schliessen
dann im Nammen Gottes des Vaters, des Sohns u. des H[eiligen] Geistes.
Herr Pfarrer Wirz hat der l[ieben] Getauften einen sehr christlichen, lehrreichen, u. geschichtlichen Taufzedel geschrieben, der alles, was sein Werden u. seine Taufe mit sich brachte, in sich enthält.249
Eine Abschrift des Taufzettels, der auch den Taufspruch von Lavater enthält, hat sich im Nachlass Schweizer/Heusser erhalten; vgl. Taufzedel an Dorothea Schweizer, geboren den 19. VII. 1799, getauft den 23 VII. 1799; FA Schweizer/Heusser, C I 24.
Von seinem Taufpathen Hrn. Pfr. Lavater:
Blutige Zeiten warens, da du die Erde betratest;
Unrecht herrschte, Gewalt; – Doch dich berührte kein Unglück
Und dich weyhte dein Vater zur heiligen Christengemeinschaft
Durch die Taufe, die Christus befahl, mit segnender Hoffnung.
Freü in jeder Nacht in jedem Sturme des Lebens
Dich des Daseyns erst, und dann der christlichen Taufe,
Welche Dir Gottes Huld und deine Unsterblichkeit sichert!
Gott der Vater ist dein, dein Jesus, sein Sohn, & des Sohns Geist!
Lebe, liebe, dulde, vergieb, gieb, wie dich der Geist lehrt!
Glaube, was Er verheißt & genieße, was Er dir darreicht.
Von Herrn Pfr. J. Heinrich Wirz auf Kilchberg, der des Hrn. Pfr. Lav. Stelle vertrat
Gabe von Gott gegeben, bist goldes, liebliches Kind Du –
Gabe des himmlischen Vaters den zärtlichen Eltern auf Erde
Köstliche Gabe zur Freüde – in Tagen, wo Freüde sonst fern ist;
Wo umringt von kriegerischen Scharen dem Vater der Mutter
Sorglich nun auch um Dich wie um die ältern Schwestern
Aber Gottvertrauend dabey und kindlich hoffend das Herz bangt [...].schliessen

[...]250
Schweizer drückt dann seine Freude über den Tag aus und versteht ihn als "Segen des Herrn" (1/3 S.).schliessen
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